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Würde von Hilflosen und von Toten achten

Autor: René Künzli, Präsident der terzStiftung | Foto: iStockphoto

Eine Mitarbeiterin in einem Pflegeheim hat sich mit der Leiche einer Bewohnerin selbst fotografiert und diese Aufnahmen zusammen mit wüsten Kommentaren bei facebook aufgeschaltet. Jetzt wird sie wegen Störung des Totenfriedens angeklagt.

Würde von Hilflosen und von Toten achten

Würde von Hilflosen und von Toten achten

Nicht nur bei den Pflegekräften stellt sich in Alters- und Pflegeheimen die Frage: Wie werden neue Mitarbeitende ausgesucht und in ihre Aufgabe eingeschult? Gibt es eine formulierte Wertekultur mit entsprechenden Qualitätsstandards? Wenn ja, werden diese auch mittels Fort- und Weiterbildung vertieft und permanent geschult und der Erfolg auch kontrolliert? Wie funktioniert die innerbetriebliche Kommunikation und existiert eine offene und aktive Konfliktkultur? Denn wo hilflose Menschen im Mittelpunkt stehen, dort müssen auch Mitarbeitende in scheinbar pflegefernen Arbeitsfeldern in die Betriebskultur eng eingebunden sein.

Gering geschätzte Berufe
Leider erfährt die Altersarbeit im Sozial- und Gesundheitsbereich nicht die Wertschätzung in der Gesellschaft, die sie verdient. Es lässt sich auch nachweisen, dass, wenn es in der Wirtschaft gut läuft, sie aus diesen Berufsgruppen gute Fachkräfte abzieht. Die Gründe liegen meist im weit höheren Berufsstatus, in Arbeitszeiten, die dem privaten sozialen Umfeld besser entsprechen und letztlich auch im Finanziellen. Das zu geringe Ansehen aller Berufe, die mit Geriatrie und Gerontologie zu tun haben in unserer Gesellschaft, macht uns Sorgen insbesondere für die Zukunft.
Dass die würdevolle und kompetente Begleitung demenziell erkrankter Menschen grosse Anforderungen an die Pflegenden stellt, steht ausser Frage, und es ist sehr anerkennenswert, wie die überwiegende Mehrzahl der Pflegenden die täglichen Herausforderungen bravourös meistert. Nur wenn die Pflegenden gut auf diese Aufgabe vorbereitet sind und in einem Umfeld arbeiten können, wo offen kommuniziert wird und Konflikte thematisiert und bereinigt werden, dann sind die Voraussetzungen gegeben, die den Patienten eine möglichst hohe Lebensqualität gewährleisten. Und an eine Störung des Totenfriedens wird dann auch niemand denken.

Mehr Anerkennung für Altersarbeit
Die terzStiftung weist darauf hin, dass selbst in die Altersforschung nur spärlich investiert wird, obwohl die verantwortlichen Politiker und Entscheidungsträger den demographischen Wandel mit seinen Auswirkungen bestens kennen und schon lange handeln müssten. Gleiches gilt auch für zukunftsweisende Massnahmen, die den Mitarbeitenden in der Altersarbeit bessere Voraussetzungen für ihre wertvolle Berufstätigkeit schaffen. Es geht dort aus unserer Sicht primär mehr um Anerkennung, darunter verstehen wir die Investition in Fort- und Weiterbildung, ganz besonders auch für Teilzeitbeschäftigte und ältere Mitarbeitende, ohne die heute schon einige Häuser nicht mehr voll betrieben werden könnten.
Es ist eine grosse gesellschaftspolitische Herausforderung, in welcher Wertekultur wir den demographischen Wandel generationengerecht und generationenverträglich gestalten. Wenn die Würde gleich ursprünglich mit der menschlichen Existenz gegeben ist, dann kann sie keinem Menschen verloren gehen. Genommen werden darf sie einem Menschen erst recht nicht, das verbieten alle Verfassungen. Gebrechlichkeit und völlige Abhängigkeit von anderen gehören zum Menschsein – am Beginn des Lebens für uns alle, gegen Ende für viele. Aber das nimmt uns nicht das Menschsein. Auch jemand, der kaum noch über sich selbst bestimmen kann, bleibt Mensch. Er hatte früher die Fähigkeiten, die nur Menschen haben, in höherem Mass. Und das muss nach Ansicht der terzStiftung alle anderen Menschen nötigen, Lebende und Tote mit Achtung zu behandeln.

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3 Kommentare
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Ilse Czamek
26. März 2013 7:29

Wenn ich’s recht überlege – das müsste eigentlich unser Hauptanliegen sein: dafür zu sorgen, dass allem Pflegepersonal die Würdigung zukommt, die es verdient (wirklich v e r d i e n t , weil es hart dafür arbeitet), und zwar nicht nur ideell, das gilt ja nicht im geriatrischen, sondern überhaupt im medizinischen Bereich. Es fängt beim Lohn an; dazu würde aber auch gehören, für die Gesunderhaltung des Personals zu sorgen! Denn wenn man etwas aus-nützt statt be-nützt, ist es irgendwann aus! Also :
– jede Arbeitsstunde fixe Zeiten für das Administrative,
– effizienteste Infrastruktur und – selbstverständlich – intensive Schulung dazu,
– Arbeitseinteilung nach persönlichen Bedürfnissen und Eigenschaften,
– mehr Flexibilität in Teilzeitstellen,
– mehr Ferien und/oder bezahlte Erholungskuren,
– modernste Hilfsmittel bei der Arbeit mit eingeschränkten Personen
Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Jungen bei solchen Arbeitsbedingungen nicht ihr Talent zum Helfen entdecken würden! Als absolute Bürolistin weiss ich aber auch, dass nicht jeder Mensch ein geborener Pfleger ist, selbst wäre ich ziemlich ungeeignet und staune immer wieder, wo die Vollzeitangestellten ihre Energie und Kraft hernehmen. Aber es ist ja gerade jetzt in der Presse zu lesen gewesen, dass sich wesentlich mehr Jugendliche für solche Berufe interessieren würden, wenn sie attraktiver wären. Nicht jeder Tween ist ein Juppie… Und wer denkt an die vielen SeniorInnen, die gerne für einfache Tätigkeiten einspringen und das Personal entlasten würden?
Natürlich kostet das eine Menge Geld und die Bereitschaft zur Umstellung. Aber es muss doch möglich sein, die unglaublichen „Verdienste“ von Managern oder Gewinne von Multis in andere Kanäle zu lenken! Warum werden bei solchen Problemen Grossverdiener überall geschont, sei es durch niedrige Steuern oder billigere Tarife usw. Langsam solte die Menschheit begreifen, dass die Wirtschaft für sie da sein muss und nicht umgekehrt. Und wenn schon wir heutigen Senioren uns solche Pflege nicht leisten können – künftige Generationen wären vielleicht froh, wenn wir das wenigstens angezettelt hätten, und sie hätten ja auch genug Zeit, vorzusorgen.
Bleibt zu hoffen, dass die Fehler, die durch die antiautoritäre (Nicht-)Erziehung gemacht wurden, keine Kettenreaktion bewirken, infolgedessen die Allgemeinheit die gesellschaftlichen Not-wendigkeiten nicht erkennt. Wie soll jemand, der nicht erzogen ist, seinen Nachwuchs erziehen? Die Schule darf heute auch keinen Einfluss nehmen. Mir hat auch schon jemand, der seine gebrechliche Mutter abschieben wollte, auf die Frage, wie er selbst im Alter behandelt werden möchte, geantwortet: Das ist mir wurscht! Aber hoppla, wenn’s dann so weit ist,,,

Dr. Thomas Meyer
8. April 2013 12:38
Reply to  Ilse Czamek

Im Bericht ist zunächst die Rede von einer „Mitarbeiterin in einem Pflegeheim“. Später im Text geht es um Pflegepersonal. Dadurch ist bei mehreren Lesern der Eindruck entstanden, die Angeklagte sei selbst eine Pflegekraft. Tatsächlich handelte es sich um eine Teilzeit-Hilfskraft in der Küche. Für den irritierenden Eindruck trotz korrekter Wortwahl bittet die Redaktion um Entschuldigung.
Dr. Thomas Meyer

Ilse Czamek
26. März 2013 7:02

Ja, es menschelet leider überall, ist ja nicht der einzige Fall von Pietätlosigkeit, von dem uns die Presse berichten muss. ?Muss? Es fragt sich, ob es hilfreich ist, solche Vorkommnisse zu verbreiten, das bedeutet ja auch dank der modernen Medien: zu vervielfachen! Das trägt ja leider auch zur Abstumpfung der Menschheit bei. Unvorstellbar, dass über Erfreuliches auch so intensiv geschrieben würde…
Vielleicht hat es aber einen Bezug zu ‚Aug um Aug‘? Wenn jemand mir ein Ärgernis bereitet, revanchiere ich mich, indem ich das weiter erzähle. Dem fehlbaren Menschen tu ich aber damit nichts Gutes und der Menschheit nützt es eigentlich auch nichts.
Diese Gedankengänge habe ich im Zusammenhang mit dem Ärgern gelernt: Das was mich geärgert hat, immer wieder zu erzählen und mich immer wieder zu ärgern, schafft es nicht aus der Welt und kostet mich nur unnütz Kraft und Lebensfreude.
Es ist ein anregender Artikel zum Tagesanfang! Merci, René Künzli.