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«Weiterleben, weitergehen, weiterlieben» (Wegweisendes für Witwen) von Cornelia Kazis

Autorin: Regula Stern-Griesser, terzExpertin

Eine Rezension müsste neutral die Vor- und Nachteile eines Buches darstellen. Ich lasse in diesem Fall auch persönliche Befindlichkeiten einfliessen, denn selber gehöre ich seit einem guten Jahr auch zu den rund 400’000 verwitweten Menschen in der Schweiz.

Nachdem Kazis wusste, dass ihr Liebster nicht mehr lange zu leben hatte und dann starb, suchte sie Informationen zu ihrem neuen Zivilstand Witwe und stellte erstaunt fest, dass Witwen offenbar kein Thema sind. Ganz besonders, wenn man – gemäss Statistik – an die grosse Zahl von über 300’000 Witwen denkt. So hat die Journalistin kurz entschlossen gleich selber ein Buch zum Thema Witwenschaft geschrieben, und vermutlich war das gleichzeitig ihre persönliche «Trauer-Therapie».
Sie fand für das Projekt offene Türen bei der Verlegerin, aber auch bei ausgewiesenen Fachfrauen und Frauen, welche in unterschiedlicher Form Witwe geworden sind und Kazis in grosser Offenheit von Emotionen, Frustgedanken und Erinnerungen erzählten.

Im ersten Teil geht es um praktische Informationen, Anregungen, Tipps und immer wieder auch um Hinweise zu Stolpersteinen. Die Publikation richtet sich zwar vordergründig an Witwen, wäre aber eigentlich Pflichtlektüre für viele Frauen in Partnerschaft.
Die angefragten Fachfrauen ergänzen ihre praktischen Informationen immer wieder mit persönlichen Erfahrungen, damit es bei einer Trennung durch Tod keine unliebsamen (finanziellen) Überraschungen für die Witwe gibt.

Als ich die Aufteilung in Teil eins – Fachgespräche – und Teil zwei – persönliche Lebensgeschichten betroffener Frauen – sah, war ich doch sehr skeptisch. Ganz besonders nach der Lektüre des praktischen Teils. Ist dieser zweite Teil wirklich nötig?
Um dem Buch und der Autorin gerecht zu werden, habe ich pflichtbewusst auch Teil zwei mit den Erzählungen von betroffenen Frauen von A bis Z gelesen und wurde schnell eines Besseren belehrt.

Dieser zweite Teil ist einesteils eine Ergänzung des Ratgebers im ersten Teil, weckt aber auch ganz viele Emotionen. Ich denke, dass gerade dieser zweite Teil für Frauen, welche einen Verlust betrauern, besonders wichtig ist.
Eigene Emotionen werden bestätigt und dass diese oder jene Erfahrung auch anderen Frauen passiert ist, kann plötzlich besser eingeordnet werden. Bestimmte Gefühle und die Trauer bleiben, aber durch die Erfahrung, dass es anderen Witwen ähnlich ergangen ist, sind sie irgendwie besser verständlich geworden.
Deshalb steht dieser zweite Teil auch unter dem Motto «geteiltes Leid ist halbes Leid». Ohne jedoch die Trauer um einen geliebten Menschen auszublenden.
Kazis, die früher beim Schweizer Radio bekannt war für ihr einfühlsames Nachfragen in Interviews, zeigt in diesem Buch genau diese Stärke. Sie beschreibt atmosphärisch, wie sie die Frauen bei den Gesprächen erlebt hat, fragt behutsam nach und lässt – wo nötig – auch Raum für grosses Schweigen oder Tränen.

Insgesamt ein empfehlenswertes Buch, allerdings mit einem «Aber». Es ist nicht «nur» für Witwen die passende Lektüre, sondern wirklich für viele Frauen, die im Buch erwähnte Stolpersteine gerne vermeiden möchten.
Der Ratgeber erschien nach kurzer Zeit bereits in zweiter Auflage.

«Weiterleben, weitergehen, weiterlieben» (Wegweisendes für Witwen) von Cornelia Kazis.
Xanthippe-Verlag Zürich, ISBN 978-3-905795-66-0, Herbst 2019

(Regula Stern-Griesser, Journalistin, lebt seit 47 Jahren im Tessin und vorher einige Jahre in Italien, aber aufgewachsen am Zürichsee)

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3 Kommentare
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inesagnes
17. September 2021 16:49

Ist die Trauer, die Wunde?
So fühle ich das – mal öffnet sie sich um dann wieder zu heilen…, ein Prozess der seit dem Ereignis sich immer wiederholt.
Ich kann das akzeptieren auch wenn es oft weh tut, das Leben geht weiter, die Vergangenheit ist ja nicht plötzlich verschwunden, sie lebt als Erinnerung weiter.
Also will ich weiterleben, auch Neues erleben und verborgenes hervorholen, so schwer es manchmal fällt.

Araceli Patricia Atz
28. Februar 2020 17:49

Auch ich gehöre zu den Witwen. 9 Monate ist es her….. immer noch sehr gegangen in der Trauer…. 67 Jahre alt…. also den 1. Teil des Buches fand ich sehr gut; vom 2. Teil eher enttäuscht. Ich fand mich nicht im 2. Teil. Auf jeden sage ich: Die Zeit heilt k e i n e Wunden.

Nate
1. Juni 2022 21:53

9 Monate ist in der Trauer auch keine Zeit.