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Was ist schön?

Autorin: Annemarie Golser, terzExpertin

Gedanken zur Poesie

„Die Blümelein sind abgefallen, heute Nacht bis auf den Knopf, Blättlein auf dem Tische wallen um den leeren Blumentopf“.

Annemarie Golser

Annemarie Golser

Eben hatte ich die Welt der Wörter entdeckt, da verfasste ich dieses erste Gedicht. Eine stolze Grossmutter schenkte mir dafür einen Franken. Es sollte die einzige Preisverleihung für Gereimtes bleiben. Ich lebte meine dichterische Ader zwar gelegentlich aus, wobei ich immerhin Herz-Schmerz-Endungen vermied, aber doch eher „altmodisch“ die Freude am Leben und der Natur beschrieb.

Richtschnur des Schönen
Nun ist in den späten Jahren die Liebe zur Poesie neu erwacht. Mit hohen Erwartungen
kaufte ich das Buch „Die schönsten Gedichte der Schweiz“ (Verlag Nagel & Kimche). Erbauliches, wie etwa das „Abendlied“ von Gottfried Keller, finde ich hier eher in der Minderheit. Dafür rätsle ich über Zeilen wie zum Beispiel: „Unterm Wasserfall aus dem grünen Teich sprang ein zwinkerndes Auge spinnenbeinig auf den Fels“. Ist der Titel des Buches falsch gewählt oder bin ich nicht kompetent? Ich suche die Definition zum Wort „Schönheit“ und finde einleuchtende Sätze wie: „Die Richtschnur für das Schöne kann die Natur sein“. Bei Platon wird es philosophisch: „Das eigentlich Schöne ist göttlich und absolute Wahrheit, einzelnes Schönes kann hiervon nur ein Abbild sein“.

Dreifach schön
Einfachere Gemüter brauchen den Begriff unbelastet. Die Vereinschronistin schreibt im Reisebericht: „An einem schönen Tag haben wir nach einer schönen Fahrt bei einem schönen See angehalten.“ Ich spreche sie an auf Synonyme wie prächtig, aufregend, majestätisch. Beim nächsten Bericht bin ich gespannt auf das Resultat meiner Bemühungen. „An einem schönen Tag….“ Mein Blick spricht wohl Bände. Die Chronistin schaut mich treuherzig an und meint: „Ach ja, aber es war ja wirklich alles so schön!“
Wenn ich mich für die Poesie entscheide, möchte ich ergriffen, aufgewühlt, erfüllt sein. Ich möchte nicht nach dem Sinn grübeln müssen und auch nicht geschockt sein. Ein Trost bleibt mir. Schöne Gedichte in meinem Sinne finde ich ja bei Eichendorff, Storm und Heine.

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