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Warten

Autorin: Annemarie Golser, Redaktion terzMagazin

Bildquelle: Pixabay (Salvador Dalí, Skulptur «Der Adel der Zeit» in Andorra la Veilla)

Niemand wartet gerne. Für diese Erkenntnis braucht es keine Umfrage, keine Studie. Geduld ist eine seltene Tugend.

Und doch ist Warten vom ersten Atemzug an angesagt. Der Säugling verlangt schreiend Nahrung. Das Kind wünscht sich Weihnachten herbei, der Halbwüchsige zählt die Jahre bis zur Mündigkeit. Die Verliebten lassen das Telefon nicht aus den Augen, bis der ersehnte Klingelton ertönt. Später kennt man die schlaflosen Nächte und das verzweifelte Harren auf die Morgendämmerung. Gewartet wird meistens mit banger Ungeduld, auch Angst vor einer Enttäuschung, oft mit Spannung, auch Hoffnung oder gar mit Vorfreude.  Im beklemmenden Theaterstück des irischen Schriftstellers Samuel Beckett „Warten auf Godot“ wird das lange und aussichtslose Warten zum Synonym.

Heute ist vielerorts dafür gesorgt, die Wartezeiten zu verkürzen. Mit einem Zettelsystem, mit Selfscanning. Kein Schlangestehen mehr an den Kassen. Die Praxishilfe weiss, wieviel Zeit sie für den einzelnen Patienten einräumen darf. Die Wartezimmer beim Arzt sind nicht mehr überfüllt. Damit fehlen auch die sozialen Gemeinsamkeiten.

Das Wort „Warten“ hat allerdings noch eine andere Bedeutung: Betreuen, pflegen. Soll eine Maschine funktionieren, muss sie gewartet werden.  Man sollte deshalb Wartezeiten nicht als vergeudet betrachten, sondern als Übergang zu etwas Neuem. Als eine Gelegenheit, um zur Ruhe zu kommen, um sich zu pflegen, das Warum zu überdenken. Wenn wir uns das nächste Mal über eine Zugsverspätung aufregen, müssten wir wohl von anderen Kulturen lernen.

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