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Von der Bedeutung des Grüssens

Autorin: Annemarie Golser, terzExpertin

Ein Gruss bedingt immer ein kurzes Innehalten in der Geschäftigkeit des Alltags. Ein unerwidertes Grusswort ist wie ein Ball, der ins Leere geworfen wird und sich irgendwo in der Atmosphäre verflüchtigt, weil er sein Ziel nicht erreicht hat.

Annemarie Golser

Annemarie Golser

Siebeneinhalb Zentimeter Text stehen im Duden für Synonyme zum Wort „Gruss“. Sogar „Bhüet di Gott“ ist noch aufgeführt. Das heute übliche „Tschüs“ kommt nicht an gegen diesen heimeligen Segenswunsch.
Als wir vor etlichen Jahren von der Stadt aufs Land zogen, fiel uns angenehm auf, dass wir als Unbekannte überall gegrüsst wurden. Wir fanden diese Sitte wunderbar und fühlten uns auch dadurch sehr bald heimisch und von der Dorfgemeinschaft angenommen. Wem die ländlichen Bräuche fremd sind, der mag im ersten Augenblick auf den Gruss eines Fremden erstaunt reagieren.
Ein Glück, wer in seiner Kindheit schon gelernt hat, eine freundliche Geste zu erwidern.
Ein Gruss bedingt immer ein kurzes Innehalten in der Geschäftigkeit des Alltags. Er ist die Bestätigung dafür, dass wir von unserem Nächsten wahrgenommen werden. Gleichgültigkeit und Rücksichtslosigkeit sind Auswüchse unserer verflachten Zeit. Leider gibt es in unserem aufstrebenden Dorf immer mehr Menschen jeder Altersstufe, die achtlos aneinander vorbeigehen. Beim Bahnhof, im Dorfkern, den wichtigsten Begegnungszentren, vermeiden sie Blickkontakt, murmeln im besten Falle etwas Unverständliches oder bleiben überhaupt stumm. „Me het mir der Gruess nid abgnoh!“ Für meine liebenswürdige Mutter war das jeweils ganz schlimm, und sie konnte sich tagelang über die Gründe für dieses unbegreifliche Verhalten Gedanken machen.
Ein unerwidertes Grusswort ist wie ein Ball, der ins Leere geworfen wird und sich irgendwo in der Atmosphäre verflüchtigt, weil er sein Ziel nicht erreicht hat. Zurück bleibt ein grosses Unbehagen.

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