30 Aug Verteidigung des Lachens

Von Annemarie Golser, terzExpertin

Wer sich im Alltag auf der Strasse umsieht, könnte zum Schluss kommen, es gebe gar kein unbefangenes, fröhliches, freundliches Lachen mehr, sondern nur noch das sich-lustig-Machen auf Kosten anderer.

Annemarie Golser

Der Radiofachmann erzählt vom fröhlichen Inselvölklein, das in jedes seiner Lieder das Lachen einbaue. Also suche ich das Lachen auch in Berns Gassen. Ich suche unter den Lauben, in den Schulstuben, bei den Müttern mit Kinderwagen und auf den Arbeitsplätzen. Ich suche in den unbeweglichen Mienen der Jungen, die am Volksfest ihrer Popband lauschen und forsche in den Gesichtern der alten Menschen nach einer Spur jener heiteren Gelassenheit, die eine Auszeichnung der späten Jahre sein soll. Vergebens. Wohl finde ich Lachen. Im Kino , bei der so oft mit Erfolg eingesetzten Szene mit der Torte im Gesicht des Gegenübers, im Warenhaus, wo sich eine Gruppe Verkäuferinnen über einen besonders linkischen Kunden amüsiert. Wo aber ist das Lachen aus reinster Quelle? Ist es vom Misstrauen überwältigt worden, von der Tüchtigkeit überspült? Ist der Existenzkampf schuld daran, dass die Schadenfreude Triumpfe feiert?
Der Tag ist trübe und die Gesichter der Mitfahrenden im Tram entsprechend. Ihr Ausdruck ist nicht mürrisch, traurig oder gar böse, einfach nur leer, ohne Leben. Da steigt eine junge Frau zu. Sie trägt nach der Art der modernen Mütter ihr Kind im Schultertuch an ihrer Brust. Sie setzt sich auf den vordersten Platz, der den anderen Sitzplätzen gegenüber gestellt ist. Aus der schützenden Hülle kommt ein Köpfchen zum Vorschein und zwei lustige Kulleraugen mustern neugierig die fremde Umgebung. Wie von Zauberhand berührt, erscheint auf jedem Gesicht, ob jung oder alt, ein Lächeln. Frauen plaudern jetzt plötzlich miteinander, Männer versuchen, durch Gestikulation die Aufmerksamkeit des kleinen Wesens auf sich zu lenken. In mir ist Jubel. Das Lachen aus ehrlicher Freude, dieses billige Medikament für Nöte aller Art, ist da. Ein Kind vermochte hervorzuholen, was nur verschüttet war.