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Verlorene Paradiese

Autorin: Annemarie Golser, Redaktion terzMagazin

Was sich nicht rentiert, muss verschwinden.

Foto: Ramona Serio, Homegate: «Verlassene Häuser – morbide Schönheiten»

Vor Jahren wohnten wir auf einer kleinen grünen Insel am Stadtrand. Ein von hohen Pappeln und Weiden umsäumtes Seelein gab dem Quartier den Namen. In den umliegenden Privatgärten blühte es das ganze Jahr im Überfluss. In dieser gepflegten Wohngegend war die „Grüebsche“ (eine Brache) ein Schandfleck. Eine Wildnis mit knorrigen alten Bäumen, überwuchert von wilden Beerensträuchern und ungeschnittenem Gras. Ein halbzerfallener Eisenzaun mit Rosettenverzierung zeugte von besseren Zeiten. Das Summen der Insekten und das Zwitschern der Vögel liessen erahnen, wie viel Getier hier seinen Lebensraum hatte. Es war das Paradies der Kinder. In der Grüebsche war alles erlaubt. Man durfte in die weitverzweigten Äste der Bäume steigen. Die Indianerzelte verschwanden im meterhohen Gras. Für diese Freiheit wurden Brennnesseln, Mückenstiche und zerschundene Knie in Kauf genommen. Der Platz war leider gross genug, um ihn zu überbauen. Es entstand ein Haus mit einem Ziergarten, einer langweiligen Rutsche, einem Minisandkasten und einem rasenliebenden Hauswart.

Der Zufall führte uns vor Jahren zu einem lauschigen Plätzchen direkt am See. Das Wasser greifbar nahe, vor den Augen eine scheinbar unendliche Weite, Meerfeeling pur. Ein etwas in die Jahre gekommenes Bistro mit ebensolchem Mobiliar, sorgte für bescheidene Mahlzeiten und Getränke, etwas altertümlich, aber sauber und einladend. Eine Entenmutter führte keck im Freien ihre Kinderschar zwischen den Tischen hindurch spazieren. Ein etwas spezielles Völklein beglückwünschte sich dazu, diesen romantischen Flecken gefunden zu haben. Allesamt stille Geniesser, die diesen Geheimtipp nicht einmal den engsten Freunden weitergaben. Der Platz wurde verkauft. Der neue Besitzer wollte den Umsatz steigern. Ein neues Häuschen im Container-Stil wurde aufgestellt, edles Mobiliar angeschafft. Am Strand hat es nun akkurat ausgerichtete moderne Liegestühle. Die ganze zauberhafte Atmosphäre wurde der modernen Zeit geopfert. Die Entenfamilie und das spezielle Völklein werden ausbleiben. Gut betuchte Gäste sind willkommen.

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