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Schlechte Leistungen in Schweizer Altersheimen?

Autor: René Künzli, Präsident

In einem zweiseitigen Bericht über Missstände in Alters- und Pflegeheimen stellt die NZZ am Sonntag vom 7. Mai auf den Seiten 22/23 Einzelfälle in unzulässiger Art so dar, als wären diese repräsentativ für alle Heime in der Schweiz. Eine Form von Journalismus, die weder akzeptabel noch zutreffend ist. Die Mehrheit unserer Heimbetriebe in der Schweiz ist weit besser als in diesem Bericht dargestellt. Da wird berichtet, dass Gäste in Heimen nur ein halbes Joghurt auf Grund von Sparmassnahmen erhielten.  Demenziell Erkrankte werden mit Medikamenten so sediert, dass sie apathisch in Stühlen herumhängen, oder dass sie im Bett fixiert werden, sodass sie ihre Umgebung nicht mehr stören. Dass sie in ihren eigenen Ausscheidungen längere Zeiten liegen müssen, oder dass ihnen Katheter gelegt werden, um die Pflegenden zu entlasten. Für Gespräche, Zuwendung und Spaziergänge gebe es keine Zeit.

Schlechte Leistungen in Schweizer Altersheimen?

Was zutreffend für alle Heime ist:
Von den Alters- und Pflegeheimen wird von der öffentlichen Hand und den Krankenkassen eine Leistung eines 5 Sterne-Hauses verlangt, jedoch nur für ein 2 Sterne-Haus bezahlt.

Folgerung:
Hier wirkt sich der Stellenwert unserer Leistungsgesellschaft aus. Alte Menschen können in diesen Kategorien nicht mehr mithalten, darum ist der „Leistungswert“, für den man bereit ist faire Zahlungen zu leisten, im Gegensatz zur Akutmedizin, inakzeptabel tief. Das was für die Gesellschaft früher über Jahrzehnte geleistet wurde, zählt nichts.

1. Die alten Menschen haben keine Lobby
Es gibt keine starke Vereinigung in der Schweiz, die sich für die echten Bedürfnisse der älteren Generationen einsetzt, ausser der terzStiftung. Die kann jedoch noch nicht die Kraft entwickeln, die sie brauchen würde, um wirkungsvoll eingreifen zu können.

2. Die Altersarbeit hat nicht den Stellenwert in der Gesellschaft, den sie verdienen würde.
Das hängt mit unseren mehrheitlich negativen Altersbildern zusammen. Wir brauchen eine „Neue Alterskultur“, in der ältere Menschen mit ihren Kompetenzen und ihrem grossen Erfahrungswissen zum Nutzen unserer Gesellschaft, der Umwelt und Nachkommen, aktiv eingesetzt und nicht wie heute, mit der Pensionierung „sozial entsorgt“ werden.

3. Alle wollen alt werden, nur keiner will alt sein!
Eine völlige Schizophrenie. Alter löst in unserer Wegwerfgesellschaft negative Assoziationen aus.
Unbrauchbar, nicht mehr auf dem heutigen Stand, wenig Leistung, störungsanfällig. Diese defizitorientierte Sicht des Alters ist falsch und völlig unberechtigt. Es gibt genügend Beispiele in der Gegenwart und der Vergangenheit, die zeigen, dass Musiker, Maler, Politiker und Wissenschaftler als Hochbetagte noch zu Höchstleistungen fähig waren. Wir benötigen eine „Neue Alterspolitik“, in der die Kompetenzen und nicht die Defizite ins Zentrum gestellt werden.

4. Der Druck auf die Heime ist enorm.
Die Politik und Krankenkassen fordern immer mehr Qualitäts- und Leistungsnachweise von den Heimen. Das hat zur Folge, dass die am besten qualifizierten Pflegekräfte am PC Leistungen erfassen, statt dass sie am Bett ihre Kompetenzen für die Heimgäste einsetzen. Wir sind völlig fokussiert auf schriftlich erfasste Daten, ob es den Heimgästen gut geht ist Nebensache. Die subjektive Qualitätserfassung – Gäste-, Mitarbeitenden- und Angehörigenbefragungen, werden als nebensächlich eingestuft. Es gelten nur messbare Kriterien, die dokumentiert sind, ob diese letztlich auch erbracht wurden, wer kann das wissen. Ich habe bei keiner Kontrollvisite durch Krankenkassen erlebt, dass sie Gäste aufgesucht und mit ihnen gesprochen haben. Wenn die Eintragungen der Einstufung des pflegebedürftigen Patienten entsprachen, war alles i.O. Der Schein ist eben wichtiger als das Sein.

Fazit: Die finanziellen Leistungen, die Politik und Krankenkassen an Heime entrichten, stehen in einem krassen Missverhältnis zu den Forderungen. Der Slogan „ambulant vor stationär“ bringt unmissverständlich zum Ausdruck, dass die ultima ratio letztlich das Heim ist. Wer will in diesem negativen Umfeld als Patient oder Mitarbeitende schon in eine solche Institution? Schade, dass die vielen Menschen, die sich für ältere Menschen täglich mit Herzblut einsetzen, eine so tiefe Wertschätzung erfahren.

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3 Kommentare
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Daniel Chrétien
7. Juni 2020 14:43

Wenn Sie gegen die vielen Missstände in den Schweizer Altersheimen (in meinem Fall Langmatten Binnigen) vorgehen wollen, kämpfen Sie gegen Goliath. Ich selbst habe in jungen Jahren in einem Alters- und Pflegeheim gearbeitet – auch Angehörige sind mehrheitlich in Schweizer Altersheimen gestorben – und kann also durchaus beurteilen, was sich hinter den Kulissen abspielt. In „Langmatten“ ist man schon geschockt, wenn man erst einmal realisiert, was sich davor abspielt. Was aber zu der dort rein körperpflegerischen Betreuung hinzukommt, ist das völlige Ausbleiben von Zuneigung oder Zeit für betreutes Essen oder auch nur mal einen Weg zum Garten. Sie verfallen buchstäblich in den Zimmern, ruhig gestellt von den Produkten der Pharmaindustrie. Dafür wird hochtrabend für neue Projekte, Kurse und Abteilungen geworben.

Beistände, die auf Missstände hinweisen, werden von der ganzen Geschäftsführung bis hin zu der Stationsleitung und der äusserst fraglichen bis unverschämt gebärdeten Administration gemobbt – tatenlos toleriert von der KESB, die einen monatlichen Bericht bekam! Diese Pflege respektive die wenigen Quadratmeter Zimmerfläche, kostete jeden Monat 8234 Franken! Aber schon bei den verdorrten Pflanzen sah man, im dem monatlichen Preis war das Planzengiessen nicht inbegriffen.

Eine Stationsschwester (sie machte, was sie wollte), eine fragwürdige ehemalige Psychiatrieschwester und die Dame von der Administration schwärzten mich obendrein bei Verwandten an(bekannt als C-Prominenz), die zum ersten Mal überhaupt – und als die Leiche schon weggebracht wurde, das Pflegeheim aufsuchten. Diese Lokalprominenz wühlte nach Erbgegengenständen und liessen das gesamte Zimmer, ohne vorherige Absprache, ultimativ räumen; unterstützt von der in Hofknicks gegangenen Geschäftsleitung. Das ist nicht nur ethisch verwerflich, sondern es besteht auch der Tatbestand der Ehrverletzung, üblen Nachrede und Geheimhaltungspflicht. Was war das für ein abstossender Zeitabschnitt.

B. Hueber, Domicil Ahornweg Bern
17. Juli 2017 11:55

Auch wir sind sehr enttäuscht über den oberflächlichen Journalismus der NZZ.
Zum Glück bestätigen uns die Bewohner immer wieder, wie sie sich zu Hause fühlen und wie liebevoll das Personal ist.
Das gibt uns Kraft, die anspruchsvolle Arbeit 24 Stunden am Tag zu leisten.

Schelling Wilfried
13. Mai 2017 11:04

Es ist in der Tat zutreffend, dass in Spitälern, Alters- und Pflegeheimen usw. vom Personal zuviel administrative Arbeit auf Kosten der Pflege und Betreuung der Patienten geleistet werden muss. Der Begriff „Alibiübung“ ist naheliegend.