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„Ruhestand“ – ein Unwort

Autor: René Künzli, Präsident der terzStiftung

Wer mit 65 Jahren regulär oder auch schon früher pensioniert wird, der hat noch eine durchschnittliche Lebenserwartung von mehr als 18 Jahren als Mann und fast 22 Jahren als Frau. Soll sie oder er so viele Jahre Ruhe geben und im Stillstand verharren?

Der Ausdruck Ruhestand suggeriert dies. Begriffe prägen Vorstellungen. Wer von Ruhestand spricht, zeichnet ein Bild des Alters vor, das keine Tätigkeit mehr einschliesst. Damit ist jede/r, sobald die 65 überschritten sind, ausgeschlossen von gesellschaftlich wertvollen Aufgaben, gleichgültig ob bezahlt oder ehrenamtlich.
Wo es dem Wortsinn nach keine Bewegung mehr gibt, wo nichts mehr vorwärts geht, dort ist die Zukunft abgeschnitten. Der Ruheständler soll sich an Vergangenes erinnern, gemächlich dem Weltgeschehen zuschauen und Ruhe geben. Wenn so jemand endgültig seinen Arbeitsplatz verlässt, riecht es fast schon nach der letzten Ruhestätte. In einer Gesellschaft, die noch von Jugendlichen geprägt ist, mag das bloss grausam und kurzsichtig, aber praktikabel sein. Wo allerdings die Angehörigen der älteren Generationen die Mehrheit stellen, wäre es gesellschaftspolitischer Irrsinn, auf die berufliche und menschliche Erfahrung und Reife zu verzichten und alle unterschiedslos zum Ruhestand zu verdammen.

René Künzli

René Künzli, Präsident der terzStiftung

Generationenwechsel ohne Ruhigstellung
Wer in den Ruhestand geschickt wird, darf nicht mehr gestaltend am Berufsleben teilnehmen. Wer ruhig stehen soll, darf keine neuen Ansichten mehr entwickeln. Er hat endgültig festgelegt zu sein. Flexibilität ist der genaue Gegensatz zum Ruhestand. Von einem Ruheständler erwartet niemand mehr wegweisende Anregungen. Es ist ihm geradezu verboten, frischen Wind in ein Unternehmen zu bringen. Ist es verwunderlich, wenn jemand, der jahrelang Chef einer Institution war, deren Gebäude gar nicht mehr betreten will, wenn er einmal in den Ruhestand geschickt wurde? Niemand möchte dort nur noch geduldeter Besucher sein, wo er kurz zuvor noch verantwortungsvoll Entscheidungen fällte. Generationenwechsel müssen sein. Es muss den Jüngeren erlaubt sein, die Verantwortung zu übernehmen. Aber der Stabwechsel darf nicht zwingend mit Ruhigstellung des Älteren gleichgesetzt werden.

Auch Untätigkeit kann tödlich sein
Der Altbauer hat den Hof übergeben, also soll er gefälligst vor dem Altenteil auf der Bank sitzen und warten, ob die Enkelkinder zum Spielen vorbeikommen. Diese Vorstellung vom Lebensabschnitt nach der Erwerbsarbeit klingt im Ausdruck Ruhestand durch. Und diese Art von Untätigkeit muss Lee Iacocca wohl gemeint haben, als er formulierte: „Arbeit kann einen umbringen. Aber die Untätigkeit kann es ebenso.“ Darum arbeitet die terzStiftung an einer neuen Wertekultur des Alters, in der ältere Menschen die Chance haben, ihre Erfahrungen und Kompetenzen zum Nutzen und Wohl der Nachkommen weiterzugeben.

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Ilse Czamek
11. März 2013 10:12

Auch wenn ich die Ausführungen unseres Präsidenten als etwas einseitig und auf das Berufsleben bezogen empfinde – schliesslich wird der Un-Ruhestand heute genauso im Sprachgebrauch akzeptiert -, mache ich mir doch Gedanken, wo ein Rentner von seinem letzten Arbeitgeber eingesetzt werden könnte. Als Buchhalterin (einmal B., immer B….) kommt mir da in den Sinn, dass viele Junge die Basis ihres Berufes – hier z.B. Kopfrechnen oder das Gefühl für die Plausibilität einer Kommastelle – nicht mehr erlernen, weil viele Voraussetzungen durch Apparate, Maschinen, Programme übernommen werden. Ich würde es begrüssen, wenn das fundamentale Wissen, auch im Handwerk, neben dem ‚modernen‘ Berufschulplan durch Senioren im Betrieb weitergegeben würde; denn ich bin überzeugt, dass uns der Strom irgendwann im Stich lässt und dann jede/r noch froh ist, wenn sie/er weiss „wie das früher gegangen ist“.
Wo ich René Künzli aber energisch widersprechen muss, ist seine Ansicht zu den Möglichkeiten freiwilliger Engagements. Wenn nicht gesundheitliche Probleme zu Einschränkungen zwingen, gibt es von der Pfarrei über Frauenvereine (gibt es Männervereine?) bis zu allen möglichen Interessengruppen eine Unzahl Angebote, wie sie z.B. über http://www.benevol.ch koordiniert werden. Aber auch handicapierte Personen finden Einsatzvarianten, je nach ihrem Erfahrungsschatz und – gehört dazu – der Bereitschaft, sich auf Ungewohntes einzulassen.
Wir bleiben am Ball….