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Leben in zwei Zeiten

Annemarie Golser

Annemarie Golser

Autorin: Annemarie Golser, Redaktion terzMagazin

Die Chance der Generation 80plus: Nach den genügsamen frühen Jahren im Übermass der Gegenwart abseits des Materiellen die kleinen Freuden geniessen zu lernen.

Bungee jumping und River-Rafting kannten wir in unserer Jugend noch nicht. Unsere sportlichen Aktivitäten waren harmlos und weniger spektakulär. Bananen und Orangen gehörten zu den Luxusgütern, Süssigkeiten gabs als seltene Belohnung. Auslandferien und –Reisen blieben Privilegierten vorbehalten. Aber wir hatten nicht das Gefühl, etwas zu entbehren.
Die letzten Jahre brachten krasse Umwälzungen in jedem Lebensbereich. Die Welt wurde globalisiert und digitalisiert. Was die Jungen mit Leichtigkeit bewältigen, verlangt von der Grosseltern-Generation vor allem ein ständiges Lernen und Umdenken. Wer sich nicht hartnäckig am Althergebrachten festklammert, ist dankbar für die Erleichterungen im Haushalt und tauscht mit Wonne die übergrossen weissen Dinger aus der ersten Aussteuer mit den praktischen Fixleintüchern. Niemand möchte heute noch auf die Waschmaschine, den Kühlschrank oder das Fernsehen verzichten. Der Fortschritt in der Medizin ist ein Segen. Während uns die langen Mähnen der Teenager-Söhne in den 70er Jahren noch nervten, schmunzeln wir jetzt höchstens über das Tattoo der Enkel. Auch die neuen Familienstrukturen nehmen wir gelassen zur Kenntnis.
In Sachen Luxus bewegen wir uns im Alter weg vom Materiellen. Mit gutem Gewissen veräussern wir denn auch den pompösen Goldschmuck, für den sich in den jungen Familien niemand interessiert. Wenn wir uns nicht verplanen, ist es unser Privileg, mehr Zeit und Musse zu haben. Wir lernen wieder das stille Staunen über die Schönheiten der Natur und das Geniessen der kleinen Freuden. Ob das auch für jene alte Bäuerin gilt, die erzählte, sie hätte nie gewagt, tagsüber einfach auf der Bank vor dem Haus auszuruhen?
Unsere Chance ist es doch, dass wir beides erlebt haben: Das Übermass der Gegenwart und die Genügsamkeit der früheren Jahre. Vielleicht hilft uns letzteres, die vielen Verluste, die das Alter mit sich bringt, besser zu akzeptieren.

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Werner Odolon, 6003 Luzern
16. Juli 2016 19:30

In ein paar Tagen gehöre ich auch zur Gruppe der 80plus. So kann ich das Frau Golser schreibt gut nachvollziehen. Auf Grund meiner beruflichen Tätigkeit hatte ich das Glück immer wieder Neues lernen, mich auf Veränderungen einstellen zu dürfen. Das erleichtert mir meine Kinder und Enkelkinder zu verstehen. Leider treffe ich oft auf Menschen, welche noch 10 oder 20 Jahre jünger als ich sind, die aber nicht bereit sind sich mit Neuem auseinander zu setzen. Beispiel Smartphone oder Tablet oder Car sharing statt eigenes Fahrzeug.