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Küchenphilosophie

Autorin: Annemarie Golser, Redaktion terzMagazin

Warum die Ästhetik bei neuen Haushaltsgeräten heute eine grössere Rolle spielt als vor einigen Jahrzehnten.

Nun steht er da, der neue Glaskeramikherd, edel, de Luxe, eine Diva, etwas deplatziert in der angejahrten Küche. Wieder einmal bin ich dem Fräulein Ritter dankbar, dass es mir seinerzeit in der Grundschule das Lesen beigebracht hat. Der junge Küchenbauer hat mir das Studium der gedruckten Anleitung vor der Betriebnahme ans Herz gelegt. Sicher auch mit dem Hintergedanken, dass ihn das von einer ausführlichen persönlichen Information entlastet. Das kenne ich ja auch von anderen Neuanschaffungen. Es muss sein. Ich kann hier nicht handeln, wie bei den unsäglichen Beipackzetteln der Medikamente mit ihrem seitenlangen Horrorszenario zu Nebenwirkungen. Ich entsorge sie jeweils sofort. Das Durchlesen der deutschsprachigen Ausgabe ist in meinem Falle nicht immer erfolgreich. Bei der Waschmaschine Baujahr 2017 benutze ich nur drei von neun Funktionen. Das digitalisierte Telefon ist eine Wundertüte. Seit ich versuchsweise sämtliche Tasten betätigte, leuchtet immer wieder irgendwo ein ominöses Rotlicht auf. Meine Sympathie für das Prunkstück in der Küche sinkt bei den Sicherheitshinweisen mit jeder Zeile. Punkt zwei ist besonders aufschlussreich: Nicht auf das Gerät steigen. Schade, wir pflegten diese Übung jeweils in unsere Morgengymnastik einzubauen! Keine Schneide- und Rüstarbeiten auf der Oberfläche. Daran können wir uns halten. Wie das gehen soll, dass beim Konfitürekochen nichts Zuckerhaltiges auf die Oberfläche gelangt, ist eher problematisch. Die korrekte Reinigung ist eine Wissenschaft für sich. Es dürfen nur weiche Tücher und sanfte Putzmittel zum Einsatz kommen. Während jedem Kochprozess wird die Dauerpräsenz in der Küche verlangt. Das ist verständlich, geht es hier doch um Brand- und Explosionsgefahr. Schliesslich durften sich unsere Vorfahren ja auch nicht von der Feuerstelle entfernen, wo das Mammutsteak brutzelte.

Beruhigend ist die Versicherung auf Seite eins der Broschüre. „Das Gerät ist für die Zubereitung von Speisen im Haushalt vorgesehen. Der optische Eindruck sollte aber nicht gestört werden“. Während ich darüber philosophiere, warum ein Gegenstand des täglichen Gebrauchs nicht pflegeleichter ist und so viel Sorgfalt verlangt, dämmert es mir. Unsere modernen Kochinseln sind in die Wohnräume integriert. Damit ist die Ästhetik oberstes Gebot. Es kann sein, dass die heimelige, abschliessbare Küche, in der es auch einmal etwas robust zu- und hergehen kann, wieder einmal geschätzt wird.

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