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Klagen, Beklagen, Jammern

Autorin: Annemarie Golser, Redaktion terzMagazin

Foto «Pleureuses in Romont»: © Frédéric Rochat

Manchmal möchte ich ein wenig jammern. Nicht im grossen Stil. Dazu gibt es ja keinen Grund. Ich weiss, dass wir in der besten aller Zeiten und Welten leben dürfen. Aber gerade im Alter ist der Alltag doch immer wieder mit kleinen Unannehmlichkeiten gespickt. Fürs Jammern braucht es allerdings ein Gegenüber, die zwischenmenschliche Rückversicherung. Da hapert es bei mir. Die Jungen haben eine andere Sichtweise.

Von der besten Freundin Elli bekomme ich auch keine Unterstützung. Nervt mich der Lärm der Baustelle nebenan, ist das für sie Musik in den Ohren und sie freut sich über jede Arbeitsbeschaffung. Setzt mir das lausige Novemberwetter zu, hält sie mir die vergangenen goldenen Oktobertage vor Augen. Wage ich es, die Zugverspätung zu beanstanden, weist sie darauf hin, dass im Ausland oft tagelang keine Bahn fährt. Wenn mein Knie zwickt, erinnert sie mich an die Nachbarin im Rollstuhl. Ihre Reaktion lässt mich etwas an mir zweifeln. Eigentlich bin ich ja eher eine Frohnatur und möchte nicht als Miesmacherin in die Geschichte eingehen.

Da ist immer auch noch die Erinnerung an den mütterlichen Mahnfinger und den Hinweis auf die hungernden Kinder im schwarzen Erdteil, wenn wir den ach so gesunden aber verhassten Haferbrei nur mit Mühe mampften. Ist Jammern überhaupt eher weiblich? Schliesslich gibt es ja berufsmässige Klageweiber, aber meines Wissens keine Klagemänner. Versteht sich, dass ich bei Elli nur noch in den höchsten Tönen von Positivem schwärme und jegliche Kritik vermeide. Das geht mir etwas gegen den Strich, erscheint mir heuchlerisch, nimmt mir die Spontanität und trübt unser Verhältnis. Um meine Anliegen zu deponieren    weiche ich vielleicht aufs Leserbriefschreiben aus.  Mit einer zustimmenden  Rückmeldung darf man aber auch hier nicht unbedingt rechnen.

Eine andere wichtige Person in meinem Leben ist meine Coiffeuse. Sie hat eine Operation gut überstanden, leidet aber noch etwas an den Spätfolgen. Nun wird sie von allen Seiten immer wieder ermahnt, für den Erfolg des Eingriffs dankbar zu sein. Sie ist es, aber nicht täglich während vierundzwanzig Stunden.

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