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Kampf der Einsamkeit von Betagten!

Autor: Dr. Thomas Meyer

«Einsamkeit» ist heutzutage als Ursache psychischer Erkrankungen erkannt. Im Extremfall verkürzt Einsamkeit die Lebensdauer. Sie betrifft Ältere stärker als junge Menschen. Alleinsein und Einsamkeit unterscheiden sich, und sie wurden vor 200 Jahren anders gesehen als heute. Die besondere Situation in Corona-Zeiten nehmen wir eigens in den Blick.

Für die romantischen Dichter in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts waren «Waldeinsamkeit» («Ach einz’ge Freud’»), «Bergeinsamkeit» oder «See-Einsamkeit» beliebte Stichwörter und Titel für Gedichte. Wenn der phantasiebegabte Autor von Gebirgsmauern umgeben ist, liefert ihm die Abgeschiedenheit einen wohligen Schauer. «Hier wohnt die Einsamkeit; o schau! / Sie ist es selbst…» schrieb 1834 Karl Mayer. Und Heinrich Stieglitz dichtete nur wenige Jahre später: «Bergeinsamkeit, du Fülle reichsten Lebens, / Bergeinsamkeit, du ew’ger Jugend Quell!» Dabei kannten die Romantiker den Unterschied zwischen selbst gewähltem Alleinsein und Einsamkeit sehr wohl. Ludwig Tieck, der «König der Romantik», erinnerte sich noch als Greis an das schreckliche Gefühl des Alleingelassenseins, das ihn als Kind auf dem Marktplatz überfiel, als er den Blickkontakt mit der Mutter kurzzeitig verloren hatte.

Ein anhaltendes Gefühl des Alleinseins, das man nicht freiwillig gewählt hat und das man deshalb als «Alleingelassensein», als «von aller Welt Verlassensein» empfindet, kann die Psyche krank machen und im Extremfall die Lebensdauer verkürzen. Vor wenigen Jahren wertete eine amerikanische Meta-Studie, die auf dem Jahrestreffen der Amerikanischen Psychologen-Gesellschaft vorgestellt wurde, 148 Einzelstudien von vier Kontinenten aus. Demnach haben Menschen mit vielen Sozialkontakten ein nur halb so hohes Risiko vorzeitig zu sterben wie Menschen, die sich einsam fühlen. Für diese krank machende Einsamkeit ist das Alleinsein eine notwendige Bedingung, aber keineswegs die einzige.

Wer die Lebensform des Alleinlebens gewählt hat – sei es von Anfang an oder nach einer langdauernden Beziehung -, der muss dabei nicht einsam sein. Sozialkontakte wie im Sportverein (Tanzen kann man auch mit 90 Jahren noch), Freundeskreise, in denen man sich regelmässig sieht, und vor allem tiefe Beziehungen verhindern, dass das Einsamkeitsgefühl aufkommt. Wenn solche Kontakte bestehen, dann lassen sie sich selbst in Corona-Zeiten mit Hilfe der Neuen Medien pflegen: Man kann über sie Fotos austauschen oder live chatten und skypen. Auch wer mit hingebungsvoller Konzentration einen Brief von Hand schreibt und dabei die Brieffreundin oder den Brieffreund vor dem inneren Auge sieht, der spürt Verbundenheit, nicht Einsamkeit.

Im hohen Alter werden die Ansprechpersonen weniger, vielfach stirbt der langjährige Ehepartner. Freundinnen, die sich von Schulzeiten an kannten und gemeinsam das Grossmütter-Alter erreichten, mit denen alle paar Tage ausgiebig zu sprechen zur Wochenagenda gehörte, reisst der Tod der einen auseinander. Hochbetagte ältere Schwestern haben die überlebenden Freundinnen bereits zu Grabe getragen. Wer chronisch krank ist, verliert seine Mobilität. Finanzielle Sicherheit gehört zu den Voraussetzungen, um Sozialkontakte zu halten. Im Alter fehlt es daran häufig. Kinder und Enkel sind keine zuverlässige Absicherung gegen Einsamkeit. Aber selbst sie fehlen immer häufiger: Von den hochbetagten Frauen leben 47 Prozent ohne Partner, und 8 Prozent aller Personen im Pensionsalter in der Schweiz haben gar keine Familienangehörigen mehr. Dieser Anteil wird in den kommenden Jahrzehnten noch deutlich steigen.

Die Politik hat auf das Corona-Virus reagiert, das war sicher richtig. Doch gleichzeitig hätten Massnahmen eingeleitet werden sollen, damit gerade diejenigen, die vor Corona geschützt werden sollten, nicht an Kummer krank werden oder sterben. An die alleinlebenden Betagten haben die Planer zuwenig gedacht. Selbst Heimbewohner hatten in Corona-Zeiten mehr Kontakte zu anderen Menschen als sie. Darin liegt ein ganz grosses Versagen der Politik aus der Sicht der Alleingelassenen. In Grossbritannien gibt es ein eigenes Ministerium für die Belange einsamer Menschen. Die terzStiftung regt an, dass im Gesundheitsdepartement Vorschläge zur Bekämpfung der Einsamkeit im Alter gebündelt werden. Womöglich könnte es einen Forschungsauftrag vergeben, sodass die hohe Bedeutung, die der Vereinsamung zukommt, energisch aufgegriffen wird.

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3 Kommentare
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Werner Schoch
17. März 2022 6:51

Bin 86 Jahre und seit zwei Jahren Witwer. Möchte nur zur Freizeit Menschen treffen.

MARCEL M. TYBER-SIMONEN
19. Februar 2022 14:50

Menschen Nähe mit der notwendigen Würde und Respekt wird nie durch Geräte ersetzt werden können…

Erika Luley Schäfer
19. Januar 2022 18:32

Wer sich einsam fühlt, soll sich melden bei terz. Wer weiss, vielleicht gibt es ein Kreis von mitglieder, welche Interesse haben auf neue Begegnungen?…..bin bereit, alle 2 Wochen jemand zu besuchen, der sich einsam fühlt….. habe GA und (lebens)Zeit.