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Jeder lässt sich berühren

Autorin: Annemarie Golser, terzExpertin

Das Schwache, Zerbrechliche und Gefährdete vor Bedrohungen und vor seinen Feinden zu retten ist ein tief im Menschen verwurzelter Beschützerinstinkt. Er gehört ebenso wie die Begeisterungsfähigkeit zur Menschlichkeit dazu.

Annemarie Golser

Annemarie Golser

Zahnarzttermin. Trübe Aussichten für diesen Montagmorgen. Zeitunglesen auf der Fahrt in die Stadt. Kämpfe, Gewalt, Brutalität. Was denn sonst? Nach der unangenehmen Stunde auf dem verhassten Stuhl der Gang zum Bremgartenfriedhof. Auch nach Jahren immer noch Trauer. Beim Grab entferne ich verblühte Blumen.
Feine Federchen lassen mich an ein Vogeldrama denken. Bewegung kommt ins Gebüsch, ein feines Schnattern – zu meinem Entzücken watscheln zehn Entchen, gefolgt von der aufmerksamen Mama, auf mich zu. Auf diesem ungewöhnlichen Gelände scheinen sie ganz heimisch zu sein. Unbekümmert bewegen sie sich zwischen den Grabsteinen, aber auch auf den Zufahrtswegen. Viel Leben ist in den kleinen Bällchen, aber ihre Zerbrechlichkeit weckt meine Sorge. Die Angestellten der Stadtgärtnerei befahren diese Wege ja auch mit ihren Fahrzeugen.
Ich spreche die Männer im Arbeitskleid an auf die Gefahr für die kleinen Wesen. Mit einem breiten Lachen im braungebrannten Gesicht beteuern sie mir in gebrochenem Deutsch ihre Freude über diese für Entenverhältnisse grosse Familie. Sie hätten sogar eine Schutzhütte gebaut und sie bedauern, dass bereits zwei der Winzlinge einem Marder oder einem Raben zum Opfer gefallen seien.  Wir unterhalten uns über Menschlichkeit.
Auf dem Heimweg sind meine Gedanken heiter. In seinem Innersten hat sich der Mensch doch nicht verändert. In seinem Gemüt, seiner Verletzlichkeit, seinem Harmoniebedürfnis, aber auch seiner Begeisterungsfähigkeit, ist er unverändert geblieben.

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