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Gewalt im Alter

Misshandlungen an älteren Menschen sind eine Realität in der Schweiz. Gewalt im Alter ist jedoch immer noch ein Tabuthema. Jede fünfte Person über 65 wurde in irgendeiner Form schon Opfer von Gewalt. Das Risiko steigt mit zunehmender Pflegebedürftigkeit und der Überforderung der Angehörigen. Seit kurzem gibt es eine nationale Anlaufstelle.

Man rechnet, dass gegen 300’000 ältere Personen in der Schweiz von Gewalt betroffen sind. Psychische Gewalt kommt dabei zehnmal häufiger vor als physische.

Gewaltsituationen finden sehr oft im Privatbereich ausgehend von Familienangehörigen statt. Häufig passieren die Taten im häuslichen Bereich im Versteckten. Nur selten drängen sie nach aussen. Misshandlung tritt aber auch in Institutionen auf und hängt im Allgemeinen mit institutionellen Problemen wie Personalnot, Mangel an Weiterbildung, häufige Personalwechsel usw. zusammen.

90 Prozent der über 80- bis 84-Jährigen leben zu Hause. Davon werden zwei Drittel von Angehörigen betreut. Diese haben sich die Pflegeaufgabe kaum selbst ausgesucht. Meist schlittern sie durch einen plötzlichen Schicksalsschlag in diese Situation. Zum Beispiel, wenn der eigene Partner oder die eigene Mutter dement und pflegebedürft wird. Zu Gewalt kommt es oftmals, wenn die Pfleger sich keine Unterstützung holen und mit der Situation überfordert sind. Die älteren Menschen, die Opfer von Misshandlungen werden, empfinden Scham und Schuldgefühle. Sie wagen sich meist nicht über das Geschehene zu sprechen und wissen nicht, an wen sie sich wenden können um Hilfe zu bekommen.

Aufgrund der demografischen Entwicklung schätzt man, dass sich der Anteil der über 65-Jährigen bis 2045 verdoppeln wird. Hinzu kommt, dass die Menschen heute später als noch vor 20 Jahren ins Alters- und Pflegeheim eintreten. Damit steigen die Anforderungen an die Pflege zu Hause. Zusammen mit den steigenden Anforderungen der Erwerbstätigkeit von Frauen und Männern wird sich die Situation in der Betreuung und Pflege älterer Menschen verschärfen. Dadurch ist auch mit einer Zunahme von Konflikt- und Gewaltsituationen zu rechnen.

Die Unabhängige Beschwerdestelle für das Alter UBA in der Deutschschweiz, Pro Senectute Ticino e Moesano im Tessin und Misox und alter ego in der Westschweiz haben vor kurzem zusammen die nationale Anlaufstelle «Alter ohne Gewalt» lanciert. Diese bringt älteren Personen, ihre Nächsten und alle Betroffenen in der ganzen Schweiz in Kontakt mit Fachorganisationen und Fachpersonen aus den Bereichen Medizin, Recht, Pflege und Versicherung. Letztes Jahr wurden den drei Organisationen zusammen ungefähr 200 Fälle von Gewaltsituationen gegen ältere Menschen gemeldet. Mit der Lancierung der nationalen Anlaufstelle wird einer noch grösseren Anzahl Betroffener den unkomplizierten Zugang zu fachgerechter Hilfe und Beratung ermöglicht.

Die Telefonnummer 0848 00 13 13 verbindet je nach Sprachregion, aus der telefoniert wird, zu einer der drei Organisationen, sodass rasche Unterstützung, Hilfe und Beratung erfolgen kann. Über www.alterohnegewalt.ch werden ebenfalls Kontakte vermittelt und man findet hilfreiche Informationen zum Thema.

Quellen: Aargauer Zeitung, Blick, SRF, www.alterohnegewalt.ch

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Regula Stern
23. Juli 2019 12:58

Mit grossem Interesse lese ich die zunehmende Anzahl von Publikationen zum Thema „Gewalt im Alter“. Ich erinnere mich noch zu gut daran, dass ich vor ca. 25 Jahren erstmals über Pflegefachfrauen mit dem Thema konfrontiert wurde. Was ich von ihnen hörte, dass diese Gewalt von beiden Seiten möglich ist. Von Seiten der Pflegenden, aber auch von den alten Menschen selber. Aber beiden Seiten lag eigentlich der gleiche Grund vor: Schlichte Verzweiflung, eine unangenehme, schlecht oder sogar nicht mehr veränderbare Situation nicht mehr beherrschen zu können.
Als freie Journalistin versuchte ich damals vergeblich, das Thema bei verschiedenen Zeitschriften und Zeitungen unterzubringen. «Kein Interesse!» «Kein Thema!» «Wo denken Sie denn hin, das gibt es doch nicht!» waren die geläufigsten Antworten. Schlussendlich gab ich es auf, denn ohne das Interesse eines Redaktors, einer Redaktorin war es unmöglich, das Thema klug aufzugreifen. Ganz offensichtlich ein Tabu-Thema, von dem damals niemand etwas wissen wollte. «Was nicht sein darf, gibt es nicht», wurde mir zu verstehen gegeben. Heute wäre ich mit dem Thema direkt „Trendsetterin“…..
Nun, inzwischen kenne ich den Pflegealltag von Angehörigen aus eigener Erfahrung und kenne die Situationen nur zu gut, in denen man manchmal ungeduldig wird und am liebsten handgreiflich würde. Da hilft nur noch, tief durchzuatmen und zu versuchen, die eigenen Emotionen in den Griff zu bekommen. Aber ich kann sehr gut verstehen, dass das nicht allen Angehörigen und Pflegenden gleich gut gelingt. Deshalb ist es enorm wichtig, mehr über dieses Tabu-Thema zu erfahren und zu hören, dass man mit diesen Situationen beileibe nicht allein ist. Noch wichtiger dabei, sich bei Bedarf an eine neutrale Fachstelle wenden zu können, um sich auszusprechen und gemeinsam Unterstützungsideen zu entwickeln. Und ganz wichtig dabei, ein Tabu-Thema in die öffentliche Diskussion zu bringen, um Schamgefühlen vorzubeugen und beiden Seiten zu zeigen, dass auch andere Menschen an den gleichen Sorgen leiden. Erst dadurch können alte oder pflegebedürftige Menschen in Abhängigkeit vor physischer und psychischer Gewalt bewahrt werden.
Deshalb ein grosses Dankeschön allen Fachleuten, welche aufklären, beraten und unterstützen!