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Fun von der Wiege bis zur Bahre

Autorin: Annemarie Golser, terzExpertin

Unaufhörliche Freizeitaktivitäten lassen keine Langeweile aufkommen – sie verhindern aber auch stille Besinnlichkeit. Feiern und Unterhaltungsprogramme sind als Dauerzustand unbefriedigend.

Annemarie Golser

Annemarie Golser

Der Frühjahrsmarkt in unserer Gemeinde ist erfahrungsgemäss schlecht besucht. Das wird sich in diesem Jahr ändern. Es ist ein „Kinder-Spezial“ angesagt und damit auch eine Attacke aufs elterliche Portemonnaie. Es werden wohl etwa die gleichen Vergnügungen angeboten wie bei einem Grossverteiler in seinem angekündigten „Open Air für Kids“: Hüpfburg, Erzähltheater, Schminkstand, Seiltanz und vieles mehr. Das zumeist nicht gerade geräuscharme Überangebot an Unterhaltung beginnt bereits im Säuglingsalter mit Babyschwimmen, Muki-Turnen und gar Baby-Kino. Sind die Kinder deshalb so laut im Streit und Spiel, dass man die Fenster schliessen muss, wenn im Kindergarten nebenan die „Weidezeit“ eingeläutet wird?
Kennen sie noch die versonnenen und stillen Spiele meiner eigenen Kindheit? Kleines Zopfmädchen am Fenster. Erfundener Wettbewerb mit einem einzigen Teilnehmer: Wer erscheint zuerst auf der Strasse, ein Mann, eine Frau, ein Kind? Steine, Knöpfe, Kastanien oder Schneckenhäuschen werden zu stummen Spielgefährten. Es gibt kaum etwas in der kindlichen Welt, das nicht auf Wunsch verändert werden kann: Die Strichmännchen der Tapete bewegen sich, die Wolken am Himmel haben Gesichter, die Blätter am Baum säuseln und flüstern. –
Mit Museumsnacht, Lesungen zur späten Stunde, Mondscheinwanderungen, ist heute ein vierundzwanzig Stunden Tages-Programm möglich. In der warmen Jahreszeit schiessen die Festzelte überall wie Pilze aus dem Boden. Es gibt immer etwas zu feiern in unserem beschaulichen Land.
Im Bestreben, gegen die Einsamkeit anzukämpfen, ist auch das Unterhaltungs-Angebot für Senioren unerschöpflich. „I längwile mi nie.“ In einem Interview betont die alte Dame stolz diese Tatsache, ohne wohl zu bedenken, dass „lange Weile“ auch bedeutet, Zeit zu haben für Vieles, das in der ständigen Betriebsamkeit verloren geht. Pausenlose Aktivitäten können davon ablenken, sich mit den grossen Fragen des Lebens befassen zu müssen.
„Was hat man den Menschen angetan, dass sie sich so vergnügen müssen.“ Diesen Satz habe ich vor langer Zeit gelesen und er hat mich nie mehr losgelassen.

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