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Fröhlich zwischen Gespenstern und Geistern

Im Erstlingsroman von Isabella Maria Kern, „Li“, verändert eine jugendliche Vietnamesin, die nach Europa gelockt und zur Prostitution gezwungen wurde, nach ihrem Tod das Leben eines zunächst unsympathischen Wiener Journalisten.

Autor: Thomas Meyer, Redaktion terzMagazin

Nach seinem ersten Besuch in einem Bordell ist für Peter, einen arroganten Journalisten, nichts mehr, wie es war. Die Lust auf Sex ist ihm sofort vergangen, als er dort auf die minderjährige Vietnamesin Li trifft, und er verspricht, ihr zu helfen. Aber Li nimmt sich noch in derselben Nacht das Leben. Peter versteckt die Empfangsdame dieses Bordells, Beatrice, die von ihren Zuhältern gesucht und bedroht wird, bei sich, riskiert damit sein Leben, und wird obendrein gekündigt. Als er dann noch Lis Stimme hört, meint er den Verstand zu verlieren…

Diese Stimme hört Peter immer wieder, nicht bloss ein einziges Mal. Sie gibt ihm alltägliche Hinweise, und in Hanoi führt sie ihn durch die Altstadt, damit er einen Abschiedsbrief bei Lis Familie abgeben kann. Peter und Beatrice sind auch deshalb nach Vietnam geflogen, um nicht in Wien für die Zuhälter erreichbar zu sein. Wie es möglich ist, dass jemand die Stimme einer Toten hört, die ihm Informationen übermittelt, die er keinesfalls von selbst, aus dem eigenen Wissensfundus erhalten kann, das erklärt Isabella Maria Kern nicht. Wenige Absätze zum Unterschied von Gespenstern und Geistern sollen genügen. Den „paranormalen“ Anteil des Romans müssen Leserin oder Leser hinnehmen oder das Buch bei Seite legen.

Thema der Erzählung ist die Zwangsprostitution insbesondere von Minderjährigen im deutschsprachigen Raum. Die vollkommen unerotische, brutale Seite der Prostitution bestimmt von Anfang an den Blick auf das Milieu. Gleichwohl handelt es sich nicht um ein Sachbuch, sondern um einen erzählerischen Text. Mit ihren Hauptfiguren kann die Autorin Aufmerksamkeit für das Thema gewinnen, die Erzählung fesselt Leserinnen oder Leser. Wichtig sind ihr augenscheinlich die Beziehungen zwischen den handelnden Personen. Bei der Charakterisierung fallen Fachkenntnisse auf: Peters Ordnungsfimmel wird sorgfältig von einer krankhaften Zwangsstörung unterschieden, nicht jeder, der Gegenstände nach eigenen Regeln präzise anordnet, ist psychisch krank.

Der literarische Erstling der österreichischen Schriftstellerin gibt an vielen Stellen zu erkennen, dass ein gründlicheres Lektorat wünschenswert gewesen wäre: ein Lektorat, das lästige Übel wie Kommaregeln beherrscht und das Austriazismen mildert („Mit dem hatte er nicht gerechnet“ (S. 25) oder „An was das wohl lag?“ (S. 121) sind verständlich, entsprechen aber gleichwohl nicht standarddeutscher schriftlicher Ausdrucksweise. „In der Früh“ dagegen ist ebenso ein lässlicher Austriazismus wie die „Jause“.) Wegen des mangelhaften Lektorats stösst sich der genaue Leser häufig an der technischen Seite des Textes: das betrifft u.a. die Technik des Satzbaus, die Zeichensetzung, den Übergang von einem Satz zum nächsten, die Ausgestaltung eines Gedankens oder Arguments, den nachvollziehbaren Aufbau eines Kapitels oder zuletzt der gesamten Erzählung. Wer seinen Erstling schreibt, kann das alles noch nicht können. Bestsellerautoren haben für gewöhnlich zahlreiche Ratgeber im privaten Umfeld und Hilfskräfte ihres Verlags, die an der korrekten Umsetzung des Erzähleinfalls bis zum fertigen Buch mitarbeiten. Wegen des guten Einfalls bei „Li“ hoffen wir, dass Isabella Maria Kern bei den nächsten Romanen diese Unterstützung erhält.

Isabella Maria Kern, Li/Tote Mädchen machen keinen Sex, 350 S., € 16.–, Sonnefeld 2016

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