fbpx

Eselsbrücken

Autorin: Annemarie Golser, Redaktion terzMagazin

Annemarie Golser

Klassentreffen der Ü80iger. Für den Austausch der diversen Leiden sind fünfzehn Minuten vorgesehen. Das Problem mit dem Gedächtnis ist ja keine Krankheit. Der Abbau gehört zum normalen Alterungsprozess, scheint aber doch alle Anwesenden zu beschäftigen. Die Müsterchen, die jetzt zum Thema die Runde machen, gehören glücklicherweise noch in die Kategorie der heiteren Anekdoten.

Hans ist bei seiner Fahrt in südliche Gefilde immer wieder ein blütenreicher, buschiger Strauch aufgefallen. Die Bezeichnung Oleander seien ihm und seiner Angetrauten erst nach Tagen intensivem Hirnen eingefallen. Ruth trifft in der Bibliothek eine alte Bekannte. Der Vorname ist ihr geläufig, nicht mehr aber der Nachname. Sie sucht ihn mit dem bewährten Trick des Alphabets und wird beim B schon fündig.

Wie haben sich doch die Eselsbrücken aus der Schulzeit ein Leben lang bewährt. Peter kennt sie noch alle. «Geh du alter Esel heute fort» in der Musikschule, «Auf der Oder schwimmen keine Grafen» im Französisch-Unterricht und «Man dividiert mit einem Bruch, indem man ihn stürzt und mit ihm multipliziert» zitierte der Mathe-Lehrer.  Was haben diese Gedächtnisstützen mit einem Tier zu tun? Rolf, der einstige Klassenprimus, weiss dank Wikipedia auch hier Bescheid. Esel seien wasserscheu und würden sich weigern, auch kleinste Wasserläufe zu durchwaten. Daher baute man ihnen in den Furten kleine Übergänge. Zudem würden sie nur eine Brücke überqueren, die ihnen absolute Sicherheit biete.

Die Sicherheit der Eselsbrücke nutzt auch unser Gedächtnis.  Der Schriftsteller Paul Nizon unterbrach ein Interview plötzlich mit den Worten: «Jetzt weiss ich nicht mehr, was ich sagen wollte». Wie tröstlich, dass solches auch Geistesgrössen passiert.

Abonnieren
Benachrichtige mich bei

0 Kommentare
Inline Feedbacks
View all comments