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Emotionale Abhängigkeit

Autorin: Annemarie Golser, Redaktion terzMagazin

Eigentlich wäre sie trotz einer Gehbehinderung eine Frohnatur mit einer gewinnenden Ausstrahlung. Er ist ein kauziger Einzelgänger, ein Schwarzseher, ein Weltuntergangs­prophet. Sie sind beide Rentner, alleinstehend, wohnen getrennt. Er unternimmt mit ihr fast täglich Ausflüge per Auto. Sie ist längst zu seinem Abbild geworden, findet die Briten auch ein unmögliches Volk, Sport und Spiel unnötigen Zeitvertreib, glaubt an eine weltweite Hungersnot und die Verteufelung des Internet.

Wie kann es sein, dass eine gescheite, selbstsicher wirkende Person sich so verbiegt, nicht mehr bereit ist, die eigene Meinung zu vertreten? Man spürt, dass da bei ihr schon der Wunsch nach einer freien Entfaltung ihrer Persönlichkeit vorhanden wäre.

Mit seiner schwierigen Art blockiert er auch die Möglichkeit, einen weiteren Freundeskreis zu pflegen. Kann es sein, dass diese Beziehung nur für Aussenstehende etwas Beklemmendes hat? Einen Hauch von Unterwerfung. Man muss wohl in diesem Fall das Positive der Abhängigkeit sehen. Er hat jemanden gefunden, der ihm seine verschrobenen Ideen abkauft. Sie ist froh über ihren mobilen Freizeitgestalter.

Offenbar sind die Frauen für eine gefühlsmässige Abhängigkeit anfälliger als die Männer. Ist es das Erbe aus früheren Zeiten, als Dienen und Gehorchen für sie selbstverständlich waren? Wenigstens hat sich mittlerweile die wirtschaftliche Seite gewandelt. Die Frauen der jüngeren Jahrgänge verdienen grösstenteils ihr eigenes Geld. Die Seniorinnen, die als Ehefrauen noch auf den Goodwill ihrer Männer angewiesen waren, freuen sich, dank der separaten Auszahlung der AHV, heute über das Konto auf ihren Namen.

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