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Einsamkeit im Heim

Autor: Dr. Thomas Meyer

Die von aussen auferlegte Isolierung von Heim-Bewohnenden und die Quarantäne von daheim lebenden Senioren (der «Risikogruppe») zum Schutz vor Covid-19 hatte vielfach zur Folge, dass Familienangehörige, Freunde, Kollegen sich nicht sehen konnten. Die persönlichen Kontakte mussten verringert werden bzw. völlig unterbleiben, um das Ansteckungsrisiko zu reduzieren. Innerhalb der Heime führte das nicht zu gänzlichem Alleinsein, denn die vertrauten Mitarbeitenden kümmerten sich um das Wohlergehen, und die übrigen Bewohnenden des Hauses hatten auf jeden Fall Kontakt zueinander. Dadurch waren die Bewohnenden in den Heimen in eine Gemeinschaft eingebunden und nicht allein. Bei den Zuhause lebenden älteren Menschen hingegen wurde das Thema «Einsamkeit» ein teils existentielles Problem.

Einsamkeit macht krank

«Einsamkeit» ist heutzutage als Ursache psychischer Erkrankungen erkannt, womöglich befördert sie sogar physische Krankheiten. Im Extremfall verkürzt Einsamkeit die Lebensdauer. Sie betrifft Ältere stärker als junge Menschen. Alleinsein und Einsamkeit sind nicht das Gleiche, und sie wurden in der Vergangenheit anders gesehen als heute. Die besondere Situation in Corona-Zeiten nehmen wir eigens in den Blick.

Ein anhaltendes Gefühl des Alleinseins, das man nicht freiwillig gewählt hat und welches man deshalb als «Alleingelassensein», als «von aller Welt Verlassensein» empfindet, kann Körper und Seele krank machen und im Extremfall die Lebensdauer verkürzen. Vor wenigen Jahren wertete eine amerikanische Meta-Studie, die auf dem Jahrestreffen der Amerikanischen Psychologen-Gesellschaft vorgestellt wurde, 148 Einzelstudien von vier Kontinenten aus. Demnach haben Menschen mit vielen Sozialkontakten ein nur halb so hohes Risiko, vorzeitig zu sterben wie Menschen, die sich einsam fühlen. Eine Studie von 2012 hält fest: «Einsamkeit ist gesundheitlich gleich schädlich wie der Konsum von 15 Zigaretten pro Tag, schädlicher als keinen Sport zu treiben und doppelt so schädlich wie Adipositas.» Und Einsamkeit verdoppelt die Gefahr, an Alzheimer-Demenz zu erkranken.

Soziale Bindungen verhindern Einsamkeit

Für diese krank machende «soziale» Einsamkeit ist das Alleinsein eine notwendige Bedingung, aber keineswegs die einzige. Wer die Lebensform des Alleinlebens gewählt hat – sei es von Anfang an oder nach einer langdauernden Beziehung -, der muss dabei nicht einsam sein, gleich gar nicht, wenn er in einem Heim lebt. Sozialkontakte wie im Sportverein (Tanzen kann man auch mit 90 Jahren noch), Freundeskreise, in denen man sich regelmässig sieht, und vor allem tiefe Beziehungen verhindern, dass das Einsamkeitsgefühl aufkommt. Wenn solche Kontakte bestehen, dann lassen sie sich selbst in Corona-Zeiten mit Hilfe der Neuen Medien pflegen: Man kann über sie Fotos austauschen oder live chatten und skypen. Auch wer mit hingebungsvoller Konzentration einen Brief von Hand schreibt und dabei die Brieffreundin oder den Brieffreund vor dem inneren Auge sieht, der spürt Verbundenheit, nicht Einsamkeit.

Im Heim haben die Bewohnenden viele Menschen um sich. Die Vereinsamung im Sinne eines langandauernden Alleinseins ohne Umgang mit anderen Menschen, ohne Gespräche und sogar ohne Blickkontakt ist darum im Heim viel weniger wahrscheinlich als in der eigenen Wohnung. Wessen Partner verstorben ist und wer allein in seiner Wohnung lebt, wer durch fürsorgliche Quarantäne zum wochenlangen Alleinsein genötigt ist, der lebt in strengerer Einsamkeit als ein Heimbewohner. Hier sprechen wir von «emotionaler Einsamkeit». Erfreulicher Weise gab es in vielen Heimen Programme, auf digitalem Weg Kontakt zu den Angehörigen herzustellen. Alleinlebende Personen in den eigenen Wohnungen hatten solche Unterstützung nicht und waren darum vielfach nicht in der Lage, über Skype oder Whatsapp regelmässige Verbindung zu den Angehörigen zu halten.

Politik und Einsamkeit
Die Politik hat mit Schutzmassnahmen auf das Corona-Virus reagiert, das war sicher richtig. Doch gleichzeitig hätten ebenso wichtige Massnahmen eingeleitet werden sollen, damit gerade diejenigen, die vor Corona geschützt werden sollten, nicht an Kummer krank werden oder sterben. In Grossbritannien gibt es ein eigenes Ministerium für die Belange einsamer Menschen. Die terzStiftung regt an, dass im Gesundheitsdepartement Vorschläge zur Bekämpfung der Einsamkeit im Alter gebündelt werden. Womöglich könnte es einen Forschungsauftrag vergeben, sodass die hohe Bedeutung, die der Vereinsamung zukommt, energisch aufgegriffen wird.

Zu unserem Verständnis der Situation in den Heimen würden Sie sehr viel beitragen, wenn Sie uns diese Fragen beantworten könnten:

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