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Eine Fahrt durchs 20. Jahrhundert mit Elefantenkuh

Autor: Thomas Meyer, Redaktion terzMagazin

Wie kann ein Buch über einen steinalten Mann, der aus dem Altersheim flieht, zu einem hunderttausendfach verkauften Bestseller werden?

Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand

Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand

Ein Buch, das ursprünglich bei einem Autorenverlag in Schweden veröffentlicht wurde? Keine professionelle Mannschaft von Werbern aus einem der Grossverlage mit riesigem Budget sorgt für die hohen Verkaufszahlen, die Erwartungen der Lesergemeinde wurden nicht in Fernseh- und Kinospots, durch Banner bei den meistgenutzten Suchmaschinen hochgespannt. Mundpropaganda spielte eine wichtige Rolle, ein überzeugter Leser empfahl es der nächsten, die es kaufte und ihrerseits empfahl. Sehr traditionell. Aber auch richtig wirksam, wie man sieht.

Weniges an den Haaren herbeigezogen
Allan Karlsson, der Held der Geschichte, hatte in hundert Lebensjahren genug Zeit, viele wichtige Persönlichkeiten kennenzulernen: General Franco, Harry S. Truman und Robert Oppenheimer, Song Meiling (die Ehefrau Chiang Kai-sheks, die selbst weit über 100 Jahre alt wurde), Stalin und Marschall Beria, Churchill, Kim Il Sung (der „ewige Präsident Nordkoreas“) und Mao Tsetung – von schwedischen Diplomaten und Ministerpräsidenten zu schweigen. Der Roman ist also auch ein historischer Lauf durch das 20. Jahrhundert, eher ein Marsch und gelegentlich eine Fahrt. Zuletzt sogar in Begleitung einer Elefantenkuh. Aber jedes Ereignis wirkt plausibel, Weniges kommt an den Haaren gezogen daher. Eine Episode löst die nächste ab, das Schlaglicht fällt einmal auf diese, dann auf jene Erscheinung der jüngeren Vergangenheit. Karlsson ist dabei weder der tumbe Tor, der wie Forrest Gump verständnislos hierhin und dorthin getrieben wird, noch ist er schelmischer Drahtzieher.

Hochbetagt, aktiv und interessant
Sicherlich ist Karlsson kein Muster ethischer Entschiedenheit. Er hat wenig Bedenken, seinen Vorteil auszunutzen, etwa 7 Millionen Franken Drogengeld (in schwedischen Kronen) für eigene Zwecke zu verwenden. Aber er fällt eigene Entscheidungen von beträchtlicher Tragweite – etwa, wem er hilft, eine Atombombe zu bauen und wem nicht. Nebenher zeigt der gealterte Held, dass man auch mit 100 Jahren noch sehr aktiv und interessant sein kann. Wer mit drastischer Komik nichts anfangen kann, der wird an diesem Buch wenig Vergnügen finden. Für alle anderen bedeutet es einen grossen Spass, sodass sie es bestimmt mehr als einmal lesen und wiederlesen werden.

Jonas Jonasson: Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand, München 2011

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