Autorin: Annemarie Golser, Redaktion terzMagazin

Weil E-Mails in vielerlei Hinsicht die Rolle von Briefen übernommen haben, lohnt es sich, über den Einstieg in eine E-Mail ebenso nachzudenken wie über den Anfang eines Briefes.

Die Anrede

Plötzlich war ich online. In Sekundenschnelle konnte ich jetzt ohne Formalitäten eine Botschaft übermitteln. Dachte ich. Also nahm ich’s locker und überschrieb meine Zeilen mit «Hi» oder «Hallo» oder überhaupt mit ohne. Da wurde ich von der Jungmannschaft eines Besseren belehrt. Eine E-Mail sei wie ein Brief, den ich tippe oder von Hand schreibe und per Post verschicke und müsse deshalb korrekt mit Anrede und Gruss abgefasst werden. Natürlich wollte ich nicht mit einer saloppen Schreibweise einen Beitrag zur Verrohung im Netz leisten. Ich bediente mich fortan der üblichen Anreden wie «Sehr geehrte Damen und Herren», wenn mir die Adressaten fremd waren, vor allem aber mit dem unverfänglichen «Liebe» bei persönlicher Korrespondenz.

Bald musste ich erfahren, dass auch diese Formulierung ihre Tücken hat. Um etwas Abwechslung in unseren Schriftverkehr zu bringen, erlaubte ich mir einmal, Freundin Gerti mit «Hallo» anzuschreiben. Umgehend erkundigte sie sich, ob sich unsere harmonische Beziehung etwas verflacht habe. Um niemanden zu brüskieren, lohnt es sich deshalb, den Briefeinstieg zu überdenken. Die Anrede ist eine erste Kontaktaufnahme. Ein Ausdruck der Wertschätzung. Klare Formvorschriften, etwa im militärischen oder kirchlichen Bereich, machen es einfacher. Normalbürger korrespondieren sicher eher selten mit Adressaten, die Wert darauf legen, mit «Hoheit» oder «Hochwürden» angesprochen zu werden. Herr Knigge will es lieber förmlich als vertraulich. Sicher pflegte er noch mit «Werte» anzusprechen. Ich dagegen lasse mich gerne vom Gefühl leiten, das sich hoffentlich auf den Empfänger überträgt. So hat es mich vor kurzem berührt, als mich eine E-Mail mit der Anrede «Guten Tag Du Gute» erreichte. Es versteht sich, dass der Tag wirklich gut wurde.