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Der Jungbrunnen

Autorin: Annemarie Golser, terzExpertin

Um gelegentlich dem Alter ein Schnippchen zu schlagen und aus dem Alltagseinerlei auszubrechen, gibt es ganz unterschiedliche Methoden.

Annemarie Golser

Annemarie Golser

Als sie mir die kleine Episode erzählte, blitzte der Schalk in ihren Augen. Sie hatte sich an einem Sommertag im Aarebad in die Sonne gelegt, war dann zum Schönausteg spaziert und spürte plötzlich das Verlangen, sich in die lockenden Fluten zu stürzen. Sie war zwar eine geübte Schwimmerin, erinnerte sich jedoch der Warnung des Gatten, nur in Gesellschaft in der offenen Aare zu schwimmen. Doch kein Kopf tanzte über den Wellen, das Wasser war mit sechzehn Grad selbst der unbekümmerten Jugend zu kalt. Die muntere Grossmama verwarf den Gedanken an den sorgenden Gatten und verwandelte sich in Sekundenschnelle in eine flutenumspülte Nixe. Gross war ihr Erstaunen, als sie beim „Landesteg“ von zwei Männern, die sich später als ausländische Journalisten entpuppten, empfangen und heldenhaft gefeiert wurde. Die beiden hatten eine Wette abgeschlossen, ob die zwar erstaunlich beweglich wirkende, doch immerhin recht reife Dame den Sprung ins Wasser wagen würde. Selten habe sie ein Bad so belebt und selten habe sie ein Ereignis so genossen, bekannte meine Erzählerin.
Um gelegentlich dem Alter ein Schnippchen zu schlagen und aus dem Alltagseinerlei auszubrechen, gibt es weniger barbarische Methoden, als einen Kälteschock in Kauf zu nehmen. Meistens fügen wir uns ja dem Schema, das die Umgebung für uns zurecht gelegt hat. In unseren Köpfen geistert noch die mütterliche Ermahnung: „Was säge ächt d’Lüt“. Nicht alle unsere verrückten Träume lassen sich verwirklichen, aber ein bisschen Rebellion sei auch den Senioren gestattet.
Wenn das „Graue Mäuschen“ den Mut hat, in der Kleidung auf Rot umzustellen, ist das schon ein kühner Schritt in Richtung Extravaganz.

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