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Bücher entsorgen

Autorin: Annemarie Golser, Redaktion terzMagazin

Bildquelle: Pixabay

Es ist der zweite Anlauf. Beim Zimmerumbau vor Jahren verlangte die Obrigkeit, den Bücherschrank zur Hälfte zu entlasten. Leichten Herzens entschied ich mich zuerst für den Stapel Kochbücher. Die Trennung vom Kleingedruckten, vom wenig Anspruchsvollen, fiel mir nicht schwer.

Jetzt studiere ich wieder die Buchrücken und spüre, dass diese Aktion erfolglos sein wird, finde ich doch immer wieder Köstlichkeiten, die ich unbedingt behalten möchte. Da sind einmal die Klassiker. Ich stöbere bei Thomas Mann. Warum fällt mir bei ihm erst jetzt die Dekadenz der damaligen Gesellschaft auf? Schillers Don Karlos, ein gelbes Bändchen aus dem Reclam-Verlag, wurde in der Berufsschule behandelt. Ein Satz daraus ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben. Es ist Prinzessin Eboli, die dem Angebeteten vorwirft, er sehe seine Siege nicht. Damals war mir nicht klar, dass sie nicht die kriegerischen Auseinandersetzungen, sondern die Erfolge bei der Weiblichkeit meinte. Einen Ausspruch aus einem von Mutters Lieblingsromanen, weil verboten von mir als Heranwachsender lustvoll verschlungen, kann ich erst heute einordnen: „Ich bin zu alt, um nur zu spielen, zu jung um ohne Wunsch zu sein.“ Die Kinder- und Jugendliteratur ist in meinem Schrank prominent vertreten. Heute zum Teil noch aktuell, sollte sie doch die Enkel erfreuen. Der Fünfjährige begutachtet die lieblichen Zeichnungen einer befreundeten Grafikerin: „schön, aber viel zu brav. Ich liebe Monster“. Muss ich um seine Zukunft bangen?

Der verehrte Deutschlehrer schenkte mir seinerzeit zum Schulabschluss ein Exemplar aus der Parnass-Bücherei mit einer Widmung.  Das Werk von Iwan Turgenjew trägt den vielsagenden Titel: Erste Liebe. Widmungen berühren mich immer wieder. Es versteht sich, dass ich diese Bücher nicht weggeben kann, ist das doch jeweils mit viel Einsatz für meine Person verbunden. Ich handle ohne schlechtes Gewissen. Der zweite Anlauf ist gescheitert, die wenigen Lücken werden sich nach dem Besuch einer Buchhandlung ohnehin wieder füllen. Im Wort „Entsorgen“ ist doch das Wort „Sorge“ enthalten.

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