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Bahnhöfe

Autorin: Annemarie Golser, Redaktion terzMagazin

Im Dorf meiner Jugend verdiente der Bahnhof diese Bezeichnung noch.

Einladend das Stationsgebäude, graues Holz, Geranien vor den Fenstern, ein kleiner Warteraum, das Büro des rotbemützten Stationsvorstehers, der mit der Kelle die Zugsabfahrt dirigierte und für einen Spätankommenden etwa eine Minute länger zuwartete. Es war immerhin die bedeutende Strecke Neuenburg – Bern.

Vierzig Jahre später bei der Vorortsbahn. Dasselbe vertraute Bild. Wieder ein schmuckes Häuschen mit Geranien. Wieder ein Stationsvorstand, zwar nicht mehr mit roter Mütze und Kelle, aber betraut mit der Billett- und Abo-Abgabe. Im Dorf aufgewachsen, kannte er seine Kundschaft und wurde so zur wichtigen Auskunftsperson.

Das Wort „Hof“ im Bahnhof ist rund, ladet ein zum Verweilen, bietet Schutz, vermittelt Geborgenheit, kann zum bedeutenden Begegnungsort und Mittelpunkt einer Ortschaft werden. Was da bei uns entstanden ist, verdient diese Ehrenbezeichnung nicht mehr. Es ist eine Abfertigungsstätte geworden.

Das Unding erinnert an die ausgefallene Installation eines surrealistischen Künstlers. Wohl gewollt futuristisch wirkend die schrägen Holzpfeiler. Alles offen, Wind und Wetter ausgesetzt. Wenig einladend zwei Glasboxen als Wartehäuschen. Darin fühlt es sich an wie im Schaufenster eines Warenhauses. Verzichtet man bewusst auf lauschige Ecken, um zu verhindern, dass sie zum Treffpunkt unerwünschter Leute werden?

Es ist tröstlich zu hören, dass stillgelegte Bahnhöfe zu beliebten Fotosujets geworden sind. Unser alter ehrwürdiger Bahnhof hat diese Chance nicht. Er wird entsorgt.

Da haben sich wieder einmal Schreibtischtäter ein Denkmal gesetzt.

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