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Anonym

Autorin: Annemarie Golser, Redaktion terzMagazin

In der Bäckerei stelle ich fest, dass ich meine Geldbörse zu Hause vergessen habe. Für die Bäckersfrau ist das kein Problem. Sie würde mich ja kennen und ich könne morgen oder übermorgen bezahlen. Sie notiert sich den Schuldbetrag auch nicht. Das Vertrauen ehrt mich. Mein Gast aus der Stadt ist beeindruckt und sieht in diesem Verhalten den Vorteil der ländlichen Umgebung. Für mich überwiegen ganz klar die Vorteile, auch wenn ich die andere Seite kenne. So weiss jeder, wer in der Nachbarschaft den Kehricht nicht korrekt entsorgt, oder wem die mysteriösen nachmittäglichen Herrenbesuche gelten

Andererseits finde ich mein vom Winde verwehtes Halstuch in meinem Ablagekasten. Ich möchte niemals wieder in die Anonymität der Stadt zurückkehren. Gerade im Alter kann ein gewisser Bekanntheitsgrad hilfreich sein. Es braucht allerdings eine Dosis Selbstbewusstsein und Humor, um in der offensichtlich kontrollierten Umgebung sich selbst zu sein. Das Wissen, in der Öffentlichkeit wahrgenommen zu werden, mag die Spontaneität hemmen. Das ist bei der älteren Bevölkerung spürbar

Wenn ein Medienbericht mit «anonym» unterzeichnet ist, erfüllt mich das mit einem Unbehagen. Wer darf nicht zu seinen Äusserungen stehen? Die Bezeichnung «anonym» auf dem Display meines Handys weckt zwar die Neugierde, dämpft aber auch die Vorfreude auf die Meldung. Der Absender muss ein mir Unbekannter sein.

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