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Heidis Tagebuch: Der Jahrgang macht’s

Autorin: Heidi Eggerschwiler, Gönnerin der terzStiftung

Heidi Eggerschwiler

Heidi Eggerschwiler

Ich muss es loswerden! Jetzt gleich, sofort! Du mein Tagebuch bist und bleibst der treue Freund, der nicht widerspricht und ganz einfach keine eigene, dafür meine Meinung für einmal so stehen lässt wie sie im Moment daherkommt.

Also das war so! Ich war telefonisch verbunden mit einer vermutlich jungen, innovativen, kompetenten Mitarbeiterin meiner Bank. Das Gespräch verlief absolut professionell und die Sachlage beidseitig klar. Wir verstanden uns blendend und diskutierten zielgerichtet über das weitere Vorgehen. Ich bekam die gewünschte Information, vielmehr die Zusage, dass ich innert einigen Tagen die notwendigen Formulare zur endgültigen Abwicklung der Angelegenheit zugeschickt erhalten würde. Soweit so gut, dachte ich. Doch weit gefehlt, nun musste ich abschliessend noch identifiziert werden. Aus Sicherheitsgründen, versteht sich. Natürlich verstand ich und gab freimütig mein Geburtsdatum bekannt.

„gealtert“ – „schwerhörig“ – „vertrottelt“
Und ab sofort war schlagartig alles anders! Ich war um Jahre, wenn nicht gleich um Jahrzehnte gealtert, bereits leicht vertrottelt und hatte meine Sinne ganz offensichtlich nicht mehr alle beisammen. Und vermutlich war dies auch tatsächlich so, denn ich verstand von einer Minute zur anderen die Welt nicht mehr. Nach dem weiterhin freundlichen, aber bewusst langsamen, deutlich artikulierten „ich werde ihnen dort, wo sie die Formulare unterschreiben müssen ein Kreuzchen machen“ war es endgültig um mich geschehen. Nach meinem zaghaften Einwand, dass ich längst kapiert hätte, war das Ganze indes immer noch nicht endgültig vom Tisch.
Oh nein, jetzt erst erhielt ich all das, was bereits besprochen und bekannt war, nochmals langwierig und, in perfektem Schweizerdeutsch zwar, erneut erklärt. Nachdem ich ziemlich hörbar die Luft eingezogen hatte, erklärte ich meinerseits, dass ich alles wirklich begriffen hätte und „man“ mit mir zudem in ganz normalem Umgangston und -Tempo reden könne. Ich wurde aber nicht verstanden, denn mein Jahrgang sprach ja seine eigene Sprache!

Als Lenkerin unterschätzt
Auch meine Freundin mit ihren schönen, schlohweissen Haaren vermöchte da eigene Episoden ähnlicher Art in Sachen Autofahren beizusteuern. Ja klar, sie ist eine gute, man darf sagen, immer noch gute Lenkerin, wird aber trotzdem bei Einhalten der Tempolimiten regelmässig überholt. Und sie flucht sich ihren Frust denn auch ungeachtet ihres vorgerückten Alters lautstark von der Seele; wer wollte es ihr verargen, zumal es ja heute gang und gäbe ist, sich seiner Emotionen möglichst rasch zu entledigen oder sie gleich auszuleben.
Ja und dieses „immer noch“ in stereotypen, empathielosen Fragen wie „fahren sie denn immer noch Auto, ach und Ski auch noch“ und was da an unverschämten Äusserungen mehr sind mit denen wir Alten, Ausgedienten aufs Ruhebänkli verbannt werden. Und erst dieses verständnisvolle „sooo, wir steigen jetzt hier alle aus und wir kommen dann in einer Stunde wieder zurück“ bei einer Carfahrt ins nahe Ausland. Wer da „wir“ sind bleibe dahingestellt. Und wenn ich da erst auf die diversen Artikel von der leidigen Überalterung stosse, wäre vermutlich eine offizielle Entschuldigung über mein immer noch Dasein angebracht. Zu den ehemals erwünschten selbständigen Patienten haben wir uns zwar längst gemausert und zur bislang noch vorhandenen Selbständigkeit verhalf uns ein gnädiges Schicksal, einzig mit dem generationenverträglichen Zusammenleben scheint es unsererseits zu hapern. Oh, nicht wahr, wir würden schon, wenn man uns denn liesse! Aber da spricht mir doch gerade zur rechten Zeit eine Altersexpertin aus dem Herzen wenn sie meint, dass einmal vorgefasste Meinungen nur schwer zu korrigieren sind. Zudem sei es nicht auszuschliessen, dass – Zitat: „die Alten eine Projektionsfläche sind für die vielen ungelösten gesellschaftlichen/sozialen Probleme“.

Nicht um die Meinung gefragt
Punkt. Oder ist dieser mutigen Aussage noch etwas beizufügen? Kaum! Ich denke, wir Alten wüssten und wollten schon, nur wissen und wollen es auch die „anderen“? Und ob sie uns wohl überhaupt eine Chance geben würden? Und ob sie uns denn manchmal einfach um unsere Meinung fragen würden? Wenn sie denn tatsächlich nicht nur von Vernetzung sprechen, sondern zusammen mit unserer Lebenserfahrung auch tatsächlich vernetzen würden? Vielleicht kämen wir uns dann manchmal nicht so überflüssig vor. Aber nicht wahr, vielleicht verstehen wir Alten unter diesem vielzitierten „Vernetzen“ eben einfach nur etwas ganz anderes. Bei gewissen Naturvölkern allerdings scheint es trotzdem zu funktionieren, aber Hand aufs Herz, wer von uns wollte schon zurück ins einfache Urwaldleben. Also ehrlich, ich nicht. Und Jahrgang hin oder her, leben wir unser Leben zu Ende!

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