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Ein Volk von Gutmenschen

Autorin: Annemarie Golser, Redaktion terzMagazin

Annemarie Golser

Annemarie Golser

Wohl niemand möchte bei seinem Ableben hochgelobt aber dafür gleichgeschaltet werden. Zu einem ehrlichen Bild der verstorbenen Person gehören auch ihre charakteristischen Eigenheiten und menschlichen Schwächen.

Ich lese Todesanzeigen. Wer nicht? Oft sind sie der Grund dafür, eine Tageszeitung zu abonnieren. Was sind wir doch für ein Volk von Gutmenschen! Aus den Ankündigungen geht hervor, dass die Verblichenen ausnahmslos geliebt wurden. Wenn es zutrifft, ist das beruhigend und tröstlich. Wer da von uns gegangen ist, war treusorgend, aufopfernd, gütig, grosszügig, verantwortungsbewusst, tapfer und humorvoll. Den Frauen der älteren Generation werden auch etwa die „nimmermüden Hände“ attestiert. Sind sie wirklich allesamt ohne Auflehnung, Wut oder Verbitterung über ein hartes Schicksal sanft entschlafen?
Wo sind sie denn, die unangenehmen Zeitgenossen, Mann und Frau, die uns im Laufe des Lebens immer wieder begegnen: Der mürrische Vorgesetzte, der ungerechte Lehrer, der unzufriedene Hausmeister, der Haustyrann, der Sturkopf, die Jammerliese, die Klatschbase, der Dauermotzer. Erfuhren sie am Lebensende eine wundersame Verwandlung?!
Zu meinem Erstaunen lese ich da tatsächlich in einer Anzeige: „Seine Hartnäckigkeit hat ihn im Leben weitergebracht, ihm aber auch Steine in den Weg gelegt“. Wie mutig von diesen Angehörigen. Sie haben sich diplomatisch ausgedrückt, und so wirken ihre Worte nicht verletzend.

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