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Alt werden in Haft –was heisst das?

Margareta Annen-Ruf, Redaktion terzMagazin

Die Alterung der Gesellschaft macht auch vor den Gefängnismauern nicht halt. Unter dem Titel „Alt werden und Sterben im Freiheitsentzug“ fand vor kurzem im Seminarzentrum Hitzkirch eine vom Schweizerischen Ausbildungszentrum für das Strafvollzugspersonal (SAZ) organisierte Tagung zu diesem Thema statt.

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Alt werden in Haft –was heisst das?

Laut Karl Heinz Vogt, Vizedirektor des SAZ, sind Gefangene im Pensionsalter heute noch eine Minderheit im Strafvollzug. Die Zahl der über 50-Jährigen sowie der Neueinweisungen älterer Strafgefangener sei in den letzten Jahren jedoch gestiegen. Zudem sei von einem weiteren Anstieg auszugehen, wenn das hohe Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft und die damit verbundene restriktive Entlassungspolitik (Nulltoleranz) für verwahrte Straffällige beibehalten würden. Dass angesichts dieser Perspektiven die heute individuellen Lösungen nicht mehr genügen werden, wie Vogt sagte, wurde an der, aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchteten, Leitfrage der Tagung deutlich.

Hoher Gesundheitsbedarf
Dr. med. Bernice Elger von der Universität Basel, Leiterin der Studie des Schweizerischen Nationalfonds (SNF) „Älterwerden in Haft“ zeigte anhand von Fakten und Daten „Realitäten, Strategien und praktische Lösungen für die Betreuung und Gesundheitsversorgung alternder Gefangener im Strafvollzug am Lebensende“ auf. Unter anderem ergab die Auswertung von etwa 400 Krankenakten älterer und jüngerer Inhaftierter, dass bei den Insassen 50+ etwa Erkrankungen des Muskel-/Bindegewebes, des Kreislaufsystems und Stoffwechselkrankheiten um mehr als 2 Mal höher sind als bei jüngeren Gefangenen und dass sie die Gesundheitsdienste öfters benötigten.
Weiter war zu erfahren, dass es in den Institutionen grosse Unterschiede gibt bezüglich altersgerechter Gesundheitsversorgung. Verzögerungen gebe es beim Zugang zu bestimmten medizinischen Leistungen auch der Palliativmedizin, und es fehlten Vorbereitungen für ein würdevolles Sterben.
Dass ältere Inhaftierte an Gehör- und Sehverlust, Gleichgewichtsstörungen und anderen altersbedingten Defiziten leiden, darauf wies auch Dr.med. Albert Wettstein, PD für neurologische Geriatrie, hin. Er plädierte denn auch für das Recht auf eine entsprechende medizinische Versorgung einschliesslich Operationen, die der Verbesserung der Lebensqualität – nicht Lebensverlängerung – dienten, präventive Massnahmen und eine regelmässige Ueberprüfung chronischer Leiden und vor allem beginnender Demenz.
Zur Sprache kamen aber auch mögliche Optionen etwa bezüglich einem Haftunterbruch oder vorzeitiger Entlassung bei schwerer Erkrankung (rechtliche Regelungen sind heute unklar) sowie psychische Probleme –
u.a. Ausschluss aus der Gesellschaft
fehlender Kontakt zu den Angehörigen,
das Bedürfnis nach Begleitung durch vertraute Personen
und mehr Selbstbestimmung am Lebensende.

Aus der Praxis
Einen Einblick in die Konzeption zweier Abteilungen für ältere Gefangene gaben die Leiterin der Justizvollzugsanstalt (JVA) Bielefeld-Senne, Kerstin Höltkemeyer-Schwick, und Bereichsleiter Joachim Riedl der IVA Detmold (geschlossener Vollzug für Männer), Deutschland. Zu den, Massnahmen, welche die besonderen Bedürfnisse der älteren Gefangenengruppe(n) (60+) berücksichtigen, gehören unter anderem. etwa: die Förderung der Selbständigkeit, eine den Aelteren angepasste, Gesundheitsfürsorge, Rückzugsmöglichkeiten, verschiedene Beschäftigungs- und Freizeitangebote, Förderung der Aussenkontakte. Aber auch, je nach Straftat, eine deliktorientierte Behandlung sowie speziell für die Betreuung dieser Gruppe ausgebildetes Personal. Im offenen, auf Resozialisierung ausgerichteten Strafvollzug wiederum, werden gegen Entweichungen verminderte Vorkehrungen getroffen und an den /die Inhaftierten gleichzeitig erhöhte Anforderungen gestellt. Pflegebedürftige und psychiatrisch auffällige Personen werden nicht aufgenommen.
Die ständig steigende Zahl 60+-Straffälliger stellt die US-amerikanischen Haftanstalten bezüglich Kosten und Personal vor immer grössere Probleme. Die California Mens Colony beschreitet deshalb einen neuen, bisher weltweit einzigartigen Weg, indem sie zur Betreuung/Pflege Demenzkranker inhaftierte Mörder und Schwerverbrecher einsetzt. Nicht ohne Erfolg. Dass dies den Betreuern einen Lebenssinn gibt, bestätigen etwa Aussagen wie:“ Es ist gut, eine echte Aufgabe zu haben“, „manchmal kann ich dabei die eigene Schuld vergessen“ oder „Ich fühle mich wieder wie ein Mensch“.

Auch der Gefangene stirbt als Mensch
Die Empfehlungen der Referenten/-innen sowie die Ergebnisse aus den Workshops basieren auf dem Grundsatz, dass auch der Gefangene als Mensch stirbt. Verlangt wird u.a. etwa:
den Zugang zu jeglicher Art Gesundheitsversorgung zu gewährleisten.
eine auf die Bedürfnisse der älteren Inhaftierten ausgerichtete räumliche Ausstattung (z.B. Handgriffe in Bad /Toilette, gute Beleuchtung).
die Entscheide im Justizvollzug am Lebensende vereinfachen.
den vermehrten Einbezug der Angehörigen /Freunde.
eine soziale und lebensgestalterische Verortung statt Gleichschaltung.
separate Wohneinheit versus gemischtes Wohnen – Vor- und Nachteile prüfen
die Befähigung des Personals, rechtzeitig beginnende Demenz zu erkennen.
Mehr Selbstbestimmung für die Inhaftierten und gute medizinische Versorgung ist meist möglich mit weniger als 6 Medikamenten.

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2 Kommentare
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Chris
27. August 2022 19:05

Sorry, es heißt natürlich nicht – müsen – , sondern – müssen -. Aber, was soll es? Ich möchte nicht, dass auch Massenmörder bzw. komplett verkorkste Gestalten jeglicher Art, besser gestellt werden wie alte, einfache Menschen, welche sich abplagten, nichts Ungesetzliches machten und im Alter samt ihren weiteren Problemen großteils alleine und hilflos im Regen stehengelassen werden. Weshalb gibt es Pensionisten, die Flaschen suchen müssen? Weshalb gibt es Pensionisten, die Suppenküchen aufsuchen müssen? Ist das in Ordnung, ist das gerecht, so mit Menschen umzugehen, die keine Verbrecher waren und jetzt alt sind?

Chris
27. August 2022 19:00

Um Menschen, die alt sind und sich ihr ganzes Leben lang bemühten und dann trotzdem mit wenig Geld und ihren Themen durchkommen müsen, macht man sich kaum Gedanken. Um Menschen, die Verbrechen begingen, dann alt im Gefängnis sitzen, soll man sich nun mehr machen?

Nein, ich bin dagegen! Diese Leute haben ein Dach über dem Kopf, ein Essen und haben es im Winter warm. Sie können lesen, sich beschäftigen. Mehr ist einfach zuviel, meiner Ansicht nach. Dabei bleibe ich lebenslang, denn diese Leute hatten wohl eher keinen besonderen Wert für die Gesellschaft.